Nach Monaten der Stille entdeckten die vier Musiker gemeinsam mit ihrem Publikum das Ritual „Livekonzert“ noch einmal neu. Irvine Arditti berichtet von einer kleinen Tour mit großen Erlebnissen.
Still war es in den vergangenen Monaten, wir konnten nicht vor Publikum spielen und wir durften uns nicht treffen. Wir sind uns nicht einig darüber, was schlimmer war ;-)) Mitte August kam endlich wieder Schwung in die Sache: Licht an, und zwar auf der Bühne! Und Ton ab, nämlich live von uns!
Hellerau
„Europäisches Zentrum der Künste“ in Hellerau bei Dresden. Kein besserer Ort ist vorstellbar, um die gebremste Wirklichkeit regelrecht überholen zu können. Wir haben Hellerau mit dem Festival „June in Buffalo“ verbunden. Technische Superprofis, kleines Publikum vor Ort und ein Live-Stream für die Menschen in den USA – so konnten wir ein Konzert mit Carter, Birtwistle und David Felder spielen/streamen und nach Diskussions- und Probetagen über die Kontinente und Zeitzonen hinweg verspätet die Stücke von acht jungen Komponist*innen uraufführen: Xuesi Xu, Jack Herscowitz, Yifan Guo, Daniel Gostelow, Tomek Arnold, Edgar Girtain, Young Jun Lee und Joel Kirk.
Ging ja!
Eisenach
Nächster Halt auf unserer ersten Tour: Eisenach. Wir spielten beim „Yiddish Summer Weimar“ Dusapin, Kurtág, Felder und Ligeti. Das war ein Arditti-Debüt, das hat uns sehr gefreut! Eingeladen dazu hatte Achim Heidenreich, der Kulturamtsleiter und Autor der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. In seinem Interview mit Lucas kamen einige Wochen vor dem Konzert die Schwierigkeiten während des Lockdown zur Sprache.
Frankfurt am Main
Weiter ging es nach Frankfurt an die HfMDK (Hochschule für Musik und Darstellende Kunst) und das dortige IZM (Institut für zeitgenössische Musik). Das ist ja richtig Heimat für Lucas und diesmal sind wir anderen drei quasi zur Verstärkung (smiley) mit angereist. Erwartet haben uns hier Studierende aus der Kammermusik-Klasse von Tim Vogler mit Glosse von L. Berio und Komponist*innen aus den Klassen von Orm Finnendahl und Michael Reudenbach. Viele Noten! Spiel aus der Partitur – und Umblätterer waren aus Abstandsgeboten nicht planbar. Trotzdem: zu hören war Musik von Alexander Reiff, Dayoung Park, Teresa Grebtschenko, Robin Wächtershäuser, Feng Bao.
Bad Homburg
Nach der Hochschule nun eine private Initiative. Traudl Herrhausen ist unsere gleichermaßen charmante wie großzügige Gastgeberin gewesen. Ein wohl überlegter privater Rahmen, dazu die Wettervorhersage für einen stürmischen Abend und schon
wurde das Konzert aus dem offenen Haus mit Garten kurzerhand in die Orangerie verlegt, Kursalon mit Rundum-Aussicht in den Park. Wir sitzen in der Mitte und drehen uns nach dem zweiten Stück, sodass uns alle einmal von hinten (!) sehen können. Wer hätte gedacht, dass wir in solch einem Rahmen Dutilleux, Mundry, die UA des 5. Quartetts von James Clarke und Rihm spielen?
70 Menschen durften kommen, 70 sind auch da gewesen.
Und 74 haben Spiel und Speisen genossen – wir nämlich auch!
Edenkoben
Das mitten in den besten Weinbergen liegende, von Konrad und Barbara Stahl geführte Herrenhaus mit seinem zauberhaften Garten war uns an diesen schönen Sommertagen einmal mehr ein schon lieb gewordenes Quartier. Richtig Luft geholt haben wir hier für das Konzert, das aus Platzgründen in die Evangelische Kirche verlegt wurde. Am Programm mit unglaublich diszipliniert Abstand haltendem Publikum: Dutilleux, Mundry, die UA des 6. Quartett von James Clarke (wie das 5. auch in den zurückliegenden Monaten der Stille komponiert) und Rihm. Welch eine Ehre und Freude, Wolfgang während des Spiels in der ersten Reihe zu sehen! Der Abend mit ihm unterm Sternenhimmel wurde noch lang und schön.
Weingarten
Und zum Schluss mal flott 250 Jahre zurück, nicht wie sonst bei uns so oft 25 Jahre. Anlass ist das Hölderlin-Jahr. Die Verbindung zur Musik? Einfache Antwort mit zwei Namen: Zender und Nono. Hölderlins Geburtsort Lauffen am Neckar liegt gerade mal zwei
Autofahrstunden entfernt von Weingarten, nahe am Bodensee, wo man seiner gedenkt. Hat Hölderlin die größte Barockkirche nördlich der Alpen einmal besucht? Wir spielen hier für ihn Nonos Fragmente, Stille – an Diotima, und Mnemosyne, Hölderlin lesen IV von Hans Zender, der bis zu seinem Tod vor einem Jahr in der Nähe gelebt hat. Und das Publikum, von unseren Tönen davongetragen, findet in dieser ehemaligen Benediktiner-Abtei einen überwältigend offenen Raum, auch eigenen Gedanken nachzugehen.
Bleibt der Dank.
Der Mut, den all die Menschen, denen wir in diesen zwei Wochen begegnet sind, ausgestrahlt haben, und die Anstrengung, die es gebraucht hat, um die Konzerte und Kurse zu veranstalten, das hat uns sehr beeindruckt, gefreut und berührt. Wir alle wissen, dass
wir uns damit gemeinsam weit ab des Selbstverständlichen bewegt haben. Unser Dank gilt Moritz Lobeck, Achim Heidenreich, der HfMDK Frankfurt, Traudl Herrhausen, Barbara und Konrad Stahl und Rolf Stoll für die Einladung und Gastfreundschaft. Und nichts läuft ohne finanzielle Unterstützung. Vieles erst möglich gemacht haben bei dieser Tour die Ernst von Siemens Musikstiftung sowie die Hans und Gertrud Zender-Stiftung. Dafür bedanken wir uns ausdrücklich.
Ach ja, wir haben mit „Licht an!“ begonnen, da fehlt jetzt freilich die Erwähnung des wirklich besten Lampenschirms (die üblichen Spots spielten auf dieser Tour nun wirklich gar keine Rolle): der kristallene Kronleuchter im Kursalon, der hat uns schon schwer beeindruckt! Und der Ton, dafür haben wir gesorgt, der hat an jedem Ort gepasst.
Auf bald.
Irvine Arditti, September 2020
Übersetzung: Lucas Fels, Ralf Ehlers