„Ich gehöre zu den Menschen, die immer Neues entdecken wollen, deshalb beschäftige ich mich so gern mit verschiedenem Repertoire“, erklärte Claire Huangci uns schon vor zwei Jahren im Interview. Momentan bedeutet der Weg ins Neue für sie unter anderem, nicht nur in pianistischer Einsamkeit große Werke zu bewältigen oder als Gastsolistin mit Orchestern zu arbeiten, sondern sich neue Herausforderungen mit musikalischen Partnerinnen und Partnern zu suchen. Entsprechend ist sie 2020 vielerorts als Kammermusikerin zu erleben: Mit ihrem Trio Machiavelli in Bayreuth sowie in Klavierduos mit Alexei Volodin an der Elbphilharmonie und mit Mario Häring in Blaibach. Und als sozusagen erste Frucht des seit einiger Zeit beackerten Feldes kommt Mitte August eine Kammermusik-CD heraus.
Mit ihrem Trio Machiavelli hat sie für das Label Berlin Classics Werke von Ravel und Chausson (für dessen Klavierquartett komplettiert Bratschist Adrien Boisseau die Besetzung) aufgenommen. Damit erfüllt sich für sie ein schon länger gehegter Wunsch. „Früher, als sehr junge Musikerin, stellte ich mir vor, dass der Erfolg als Pianistin bedeutet, immer solistisch zu spielen. Sehr schnell begriff ich, wie falsch ich damit lag“, erinnert sie sich. „In Deutschland hatte ich die Möglichkeit, gleichaltrige Musiker zu finden, Freundschaften zu entwickeln und gemeinsam zu spielen, einfach, weil es Spaß macht. Und ich merkte, wie das gemeinsame Aufführen, Experimentieren, Interpretieren meinen Blick erweitert.“ In einer vorab veröffentlichten Kritik nimmt der österreichische Merker die CD begeistert auf, lobt bei Chausson „Seelentiefe und starke Ausdruckskraft“, bei Ravel „Klarheit und Dichte“ und resümiert: „Eine in jedem Fall empfehlenswerte Aufnahme.“
Es mutet wie ein merkwürdiger Zufall an, dass die CD-Erscheinung, dass Duo- und Triokonzerte ausgerechnet in eine Zeit fallen, in der Menschen in aller Welt durch Quarantäne und Kontaktbeschränkungen auf sich selbst zurückgeworfen werden und in der Musiker*innen einsame Livestreams aus ihren Wohnzimmern präsentieren. Und selbstverständlich müssen auch die geplanten Konzerte Antworten auf die Frage finden, wie Musikgenuss und Abstandsregeln zu vereinen sind, wie man aus der Not eine Tugend machen kann. Mit dem Festival Bayreuth Summertime beispielsweise wurde ein beachtliches Alternativprogramm zu den abgesagten Festspielen geschaffen; die Elbphilharmonie erweitert ihre auf den Vorplatz vor dem Haus übertragenen Sommerkonzerte; das Konzerthaus Blaibach hat ab Spätsommer 115 Konzerte aufs Programm gesetzt, um Publikum und Künstler*innen „unter Einhaltung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen wieder Perspektiven in dieser seltsamen Zeit zu eröffnen“, wie es auf der Website heißt.
Und welche Musik passt in diese seltsame Zeit? Für Claire Huangci Vielfältiges, aber vor allem immer wieder Beethoven – schließlich befindet man sich ja noch mitten im Jubiläumsjahr. Als Klavierduofassung steht die Neunte am Konzerthaus Blaibach auf dem Programm.
Und dann muss es für Beethoven eben doch wieder sein: Claire allein am Klavier. Sogar mit einem Werk, für das normalerweise ein ganzes Orchester die Bühne betritt; auch hier geht sie neue Wege. Mit Beethovens Pastorale, die sie in ihrer dreimonatigen coronabedingten Spielpause einstudierte, hat sie schon das Publikum in Langenargen begeistert: „Es war ein fantastisches Hörerlebnis, das die Zuhörer vom ersten Ton an in die idyllische Hirtenwelt entführte und fesselte. Die Pianistin besitzt eine mit vielen Schattierungen ausgestattete Klang-Palette, die es ihr erlaubte, die einzelnen Orchestergruppen, ja sogar einzelne Soloinstrumente hörbar zu machen“, so die Schwäbische Zeitung. Jetzt bringt Claire Huangci die selten gespielte Klavierfassung der Sinfonie in sechs weiteren Konzerten zu Gehör, unter anderem in Emden, Berlin, Blaibach und als Höhepunkt – zusammen mit der 7. Sinfonie – beim Klavierfestival Ruhr.
Vieles ist unmöglich in dieser seltsamen Zeit, und doch manches plötzlich möglich. Ein Rezital im großen Saal der Berliner Philharmonie und im großen Saal der Elbphilharmonie mit Bachtoccaten und Schuberts Klaviersonate A-Dur steht im Herbst an. Allein am Klavier, gewiss, aber in Verbundenheit mit anderen Musiker*innen: Der Erlös des Berliner Konzertes soll jungen Künstlerinnen und Künstlern zugutekommen.