An drei Terminen im April 2015 brachte Tabea Zimmermann gemeinsam mit dem Ensemble Resonanz Enno Poppes neues, eigens für sie komponiertes Bratschenkonzert Filz zur Aufführung. Mit Till Knipper sprach die Musikerin aus diesem Anlass über den Erkenntnisgewinn beim Einstudieren neuer Werke, über Fluch und Segen des absoluten Gehörs und über die Unvereinbarkeit von Musik und autoritärer Machtausübung.
Viele namhafte Komponisten haben Werke für Sie geschrieben.
Erfahrungsgemäß bedeutet dies einen erheblichen Mehraufwand: Warum tun
Sie sich das an?
Mehraufwand klingt lustig für mich! Ich erarbeite ja ständig neue Werke,
beiße mir die Zähne an allem möglichen aus – zum einen, um Routine aus
dem Weg zu gehen, zum anderen, da es einfach nichts Schöneres gibt als
einen Erkenntnisgewinn und einen größeren Erfahrungsschatz. Ich freue
mich auf das Neue und sehe daher auch das Altbekannte immer wieder aus
einer anderen Perspektive.
Haben Sie im Vorfeld gemeinsam mit Enno Poppe Dinge auf Ihrem Instrument ausprobiert?
Wir haben uns im letzten Winter in Berlin kennengelernt und dabei einige
Klänge zusammen ausprobiert. Enno Poppe hatte bereits eine klare
Vorstellung von einem dynamischen Klang. Mich faszinierte dabei die
entfernte Verwandtschaft mit der chinesischen Geige Erhu.
In einem Interview sagten Sie in Bezug auf Filz: „Ich muss das Bratschespielen neu lernen.“ Warum?
Weil mir kein anderes Werk für Bratsche einfällt, wo das Thema Glissando
so stark behandelt und abgehandelt wird wie hier. Mein absolutes Gehör
(oft ein Segen, gelegentlich auch ein Fluch) hilft, dass ich mir die
Töne vom Papier sehr schnell auch „absolut“ vorstellen kann. Den
wandelbaren Prozess der Töne, wie ihn Poppe komponiert, muss ich mir
aber neu erarbeiten. Das finde ich übrigens sehr bereichernd. Ich bin
sowieso in einer Phase, in der mich der „Weg von“ und der „Weg hin zu“
sehr interessiert. Da kam das Werk von Poppe genau zur rechten Zeit, um
das nun auch instrumental umzusetzen.
Inwiefern gibt es in Filz noch einen Bezug auf die Tradition?
Ich sehe Filz durchaus in der Kontinuität von anderer „guter“
Musik! Poppe erfindet nicht das Rad neu. Er schreibt (zum Glück!) in
lesbaren Notensystemen, greift auf altbekannte Notenwerte und Tonhöhen
zurück. Nur die Klangfarbe von 18 solistischen Streichern mit vier
Klarinetten beziehungsweise Bassklarinetten kombiniert mit Solobratsche
ist außergewöhnlich: das gab es noch nie und ist sehr aufregend!
Was assoziieren Sie in diesem Werk mit dem Titel Filz?
Ich kann die Frage nach Assoziationen wohl erst nach Beginn der
gemeinsamen Probenphase beantworten. Momentan ist alles reine Phantasie
(und harte Arbeit). Aber aus Gesprächen mit Enno Poppe kann ich mir
vorstellen, dass das Material Filz und die Dichte des Materials durchaus
wiederzuerkennen sein werden.
Was möchten Sie am Musikleben verändern?
Ich möchte gerne meinen Beitrag dazu leisten, dass die alten,
patriarchalischen Strukturen in der Gesellschaft wie in der Musik
überflüssig werden! Auf die Musik bezogen heißt das: Ich arbeite ungern
mit Dirigenten, die sich als Zentrum des Geschehens sehen. Ensembles wie
das Ensemble Resonanz, die Kammerphilharmonie Bremen, das Ensemble
Modern, aber auch viele einzelne Musiker von „normalen“ städtischen
Orchestern bringen sich doch viel lieber in einen musikalischen Prozess
ein, bei dem es keine hierarchischen Strukturen gibt.
Eine musikalische Leitung dagegen kann als sehr positiv wahrgenommen
werden, wenn man sich einbringen darf und doch eine Richtung spürt.
Dafür stehen Dirigenten wie Claudio Abbado und Simon Rattle – oder in
der jüngeren Generation François-Xavier Roth und Yannick Nézet-Séguin.
Bei ihnen spürt man, dass sie sich eher als Katalysator begreifen und
durch ihr Wissen, ihr Gehör und ihre Sensibilität die Musiker zur
Höchstleistung motivieren, nicht durch Angst. Der Dirigent als
Intendant, der zugleich Chef seiner musikalischen Mitarbeiter ist,
sollte sich überlebt haben. Musik und Macht passen nicht zusammen! Wenn
ich einen kleinen Beitrag in diesem Veränderungsprozess leisten kann,
indem ich mit meiner eigenen Konzerttätigkeit ein kammermusikalisches
Miteinander vertrete, dann bin ich schon sehr glücklich.
Auf welche Projekte in naher Zukunft freuen Sie sich besonders?
Da ich das Glück habe, selbst darüber zu entscheiden, welche Konzerte
ich zusage und bei welchen Projekten ich lieber nicht mitmache, freue
ich mich tatsächlich auf alle Termine in meinem Kalender! Dort stehen
nun an: Bartók mit François-Xavier Roth in Helsinki (1.4.), dann die Ur-
und Folgeaufführungen von Poppe in Wien, Köln und Hamburg (11.-15.4.),
Konzerte mit dem Arcanto Quartett, Sonatenabende mit Javier Perianes.
Zudem gebe ich seit langem mal wieder einen Meisterkurs im Rahmen des
Schleswig-Holstein-Musikfestivals.
Interview: Till Knipper