Im Juli 2013 wurde die Weltklassebratschistin Tabea Zimmermann zur Vorstandsvorsitzenden des Vereins Beethoven-Haus Bonn ernannt. Mit ihrer jährlich stattfindenden Beethoven-Woche konzipierte und präsentierte sie dort zudem seit 2015 exzellente Kammermusikprogramme, die sich jeweils um ein vor genau 200 Jahren entstandenes Werk des Komponisten gruppieren.
Bei der Planung unterstützte sie der Journalist und Musikwissenschaftler Luis Gago. Malte Hemmerich traf die beiden Programmplaner und Beethoven-Haus-Direktor Malte Boecker in Berlin und sprach mit ihnen über die Beethoven-Woche 2020, die für Tabea Zimmermann Abschluss und Höhepunkt ihrer Arbeit als künstlerische Leiterin bildete.
Malte Hemmerich: Hatten Sie schon einmal eine beethovenmüde Phase im Leben?
Tabea Zimmermann: Nein, nie. Aber ich bin in dem Punkt vielleicht auch seltsam. Ich hatte im Leben bisher zu jeder Zeit Lust auf Musik. Egal, wie schlecht es mir ging, mit der Musik kam die Energie. Mit Beethoven besonders: Denn je meisterhafter das Werk, desto aufmerksamer war und bin ich.
Was spielt man als Bratschistin gemeinhin als erstes von ihm?
Tabea Zimmermann: Ganz bestimmt Streichtrios. Die habe ich zumindest gespielt. Mit meinen Schwestern rauf und runter, angefangen im Alter von fünf Jahren bis ungefähr zwanzig. Die Woche ist als Werkfestival angelegt, ausgehend von einem Opus Beethovens wird dann viel Musik anderer Komponisten gespielt.
Malte Boecker: Genau. Und ich finde, damit haben wir in Bonn etwas Besonderes. Ich bin sehr dankbar und froh über das, was sich hier über die Jahre entwickelt hat. Nach 200 Jahren Beethoven-Rezeption ist es ja fast unmöglich eine neue Perspektive zu finden. Unser Werkfestivalkonzept ist natürlich keine völlige Novität, aber es funktioniert einfach sehr gut.
Und 2020 weichen Sie von diesem gelungenen Konzept irgendwie doch ab. Und setzen daskomplette kammermusikalische Schaffen Beethovens aufs Programm.
Tabea Zimmermann: Einmal wollten wir es uns gönnen, im Beethoven-Haus die komplette Kammermusik aufzuführen. Aber in bewährter Weise sollen sich Werke ergänzen und Motive wiedererkennbar sein.
Trotzdem: Besteht da nicht die Gefahr einer Beethoven-Überfrachtung?
Malte Boecker: Das Risiko gehen wir ein. Sicher, was wir machen ist purer Luxus, gerade mit den Interpreten, die wir eingeladen haben. Aber die Beziehungen im Werkkomplex selbst sind so spannend. Ich glaube nicht, dass man oft die Chance hat, wirklich alles in einer solchen Dichte an einem Ort zu hören.
Luis Gago: Mir ist tatsächlich kein Festival bekannt, das die Kammermusik Beethovens so in ihrer Vollständigkeit ausgerollt hat. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Mischung der Gattungen und der Musiker. Wir haben Künstler, die schon in den letzten Jahren in der Beethoven-Woche aufgetreten sind, und wir haben neue Namen – alle mit starker Verbindung zu Beethoven.
Es ist eine große Aufgabe, an einem so historischen Ort in einem wichtigen Jubiläumsjahr mit Beethovens Musik umzugehen. Druck oder Ansporn?
Tabea Zimmermann: Ich empfinde es nicht als Druck, aber als schwierige Aufgabe. Das eine ist, geniale Interpreten und gute Programme zu machen, eine andere, wie alles schließlich vom Publikum angenommen wird. Es ist jedenfalls sicherlich der vorläufige Höhepunkt einer dynamischen Entwicklung.
Ich behaupte mal: Wenn man nun alle seine Werke aufführt, gibt es auch die, die abfallen, die schwächer sind.
Tabea Zimmermann: Natürlich klingt ein Opus 8 anders als die späten Werke. Aber wenn man nur das Spätwerk spielt, wird man einem Komponisten auch nicht gerecht. Warum also nicht die Entwicklung zeigen?
Luis Gago: Diese „schwächeren Stücke“, wenn man sie denn so nennen will, haben wir dann besonders interessant eingebunden. Zum Beispiel in einem reinen c-Moll-Programm mit Trio, Sonate und Quartett. Es ist Teil des Konzepts, dass wir fast in jedem Konzert die drei Perioden Beethovens haben, wie Franz Liszt sie nennt: Teenager, Mann und Gott. 2020 wird man ungewöhnlichste Werkkombinationen hören. Das ändert die Perspektive und vielleicht auch das Urteil!
Interviewauszug veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Beethoven-Hauses Bonn