Philippe Manoury gilt als einer der wichtigsten französischen Komponisten und als Forscher und Wegbereiter auf dem Gebiet der Musik mit Live-Elektronik. Trotz seiner intensiven Ausbildung als Pianist und Komponist (er studierte unter anderem beim Schönberg-Schüler Max Deutsch, bei Gérard Condé, Michel Philippot und Ivo Malec) sieht er sich als Autodidakt: „Die Komposition muss aus einer inneren Sehnsucht heraus geboren werden und erfordert kein Gepäck an Vorbedingungen.“ Entsprechend begann er auf eigene Faust mit kompositorischen Versuchen parallel zu seinen ersten musikalischen Lektionen, und schon im Alter von 19 Jahren war er mit eigenen Werken auf wichtigen Festivals für Neue Musik vertreten. Die Uraufführung seines Klavierwerkes Cryptophonos durch Claude Helffer verhalf ihm 1974 zum Durchbruch.
Nach zweijähriger Lehrtätigkeit an brasilianischen Universitäten führte ihn sein kompositorisches Interesse an mathematischen Modellen ans Pariser IRCAM: Hier arbeitete er ab 1981 gemeinsam mit dem Mathematiker Miller Puckette an MAX-MSP, einer Programmiersprache für interaktive Live-Elektronik. Aus dieser Forschung heraus komponierte er zwischen 1987 und 1991 den Zyklus Sonus ex machina, der sich der Interaktion zwischen akustischen Instrumenten und computergenerierten Klängen in Echtzeit widmete – ein Thema, das ihn bis heute immer wieder in seinem künstlerischen Schaffen und seinen musiktheoretischen Texten beschäftigt.
Während großformatige Orchesterwerke wie Sound and Fury, das Violinkonzert Synapse (2009) und Echo-Daimónon für Klavier, Live-Elektronik und Orchester (2012) Philippe Manourys Schaffen prägen, entstanden im Laufe der Jahre auch Streichquartette (Stringendo und Tensio, beide 2010, Melencolia, 2013, Fragmenti, 2016) und Instrumentalwerke mit Elektronik (Partita I für Viola, 2007, Partita II für Violine, 2012 und Le temps, mode d’emploi für zwei Klaviere, 2014). Das Moment der Interaktion erforscht er dabei nicht nur im Zusammenspiel mit der Elektronik – und nicht nur in kleiner besetzten Werken: Gerade das große Orchester macht er zu einem Klanglaboratorium, in dem auch durch andersartige Aufstellungen und durch Annäherungen an das Musiktheater neue Formen des Musizierens erprobt werden.
So untersuchte er in seinem 2013 in Donaueschingen mit dem Orchesterpreis ausgezeichneten Werk In situ besonders die räumliche Disposition der Klänge im Konzertsaal. Angeregt von François-Xavier Roth erweiterte Philippe Manoury die Komposition zur Köln-Trilogie, einem großangelegten Raumwerke-Triptychon für das Gürzenich-Orchester: Nach Ring (inzwischen zudem vom London Symphony Orchestra zur britischen Erstaufführung gebracht) und der Wiederaufführung von In situ folgte im Mai 2019 der abschließende Teil LabOratorium für zwei Sängerinnen, zwei Schauspieler, Vokalensemble, Chor, Orchester und Elektronik, inszeniert von Nicolas Stemann. Das Werk, auch Ausdruck eines explizit politischen Engagements für Humanität, verbindet aktuelle Ereignisse mit Texten von Ingeborg Bachmann, Hannah Arendt und Georg Trakl und wurde in Köln ebenso wie an der Hamburger Elbphilharmonie und der Pariser Philharmonie begeistert aufgenommen. Mit dem Regisseur Nicolas Stemann hatte der Komponist schon für das Musiktheaterwerk Kein Licht nach dem gleichnamigen Text von Elfriede Jelinek zusammengearbeitet, das nach der Premiere bei der RuhrTriennale 2017 in Straßburg, Paris, Zagreb und Luxembourg gezeigt worden war.
In der Saison 2019/20 standen eine Reihe weiterer Ur- und Erstaufführungen an. Den Auftakt bildete die rumänische Erstaufführung von Zones de turbulences für zwei Klaviere und Orchester mit dem GrauSchumacher Piano Duo und dem Moldova Philharmonic Orchestra Iasi unter Brad Lubman beim George Enescu Festival. Es folgte die französische Erstaufführung des Flötenkonzerts Saccades, das Philippe Manoury während seiner Residency als „Komponist für Köln“ für Emmanuel Pahud und das Gürzenich-Orchester geschrieben hatte und das der Flötist nun im Oktober mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France unter Fabien Gabel interpretierte.
Die Saison 20/21 beginnt mit der Uraufführung einer Fanfare für Blechbläser für das Gürzenich-Orchester Köln im November 2020. Weiterhin ist er aktueller Schwerpunktkomponist an der Casa da Música in Porto; nachdem die Uraufführung eines neuen Raumorchesterwerkes zum 15. Jubiläum des Hauses ausfallen musste, stehen im November dort in zwei Konzerten mit dem Remix Ensemble seine Passacaille pour Tokyo (Klavier: Nicolas Hodges) und die B-Partita (Violine: Ashot Sarkissjan) auf dem Programm. Im Mai 2021 kommt in Luxemburg eine Suite aus Kein Licht zur Uraufführung, die Philippe Manoury für das Lucilin Ensemble und die Mezzosopranistin Christina Daletska geschrieben hat. Gemeinsam mit Ancuza Aprodu hebt das Ensemble Orchestral Contemporain unter Bruno Mantovani im Juli beim Festival Messiaen in Frankreich das Konzert für Piano und Ensemble Mouvements aus der Taufe.
In verschiedenen pädagogischen und künstlerischen Positionen arbeitete Philippe Manoury unter anderem mit dem Ensemble Intercontemporain (1983 bis 1987), am Konservatorium in Lyon (1987 bis 1997), mit dem Orchestre de Paris (1995 bis 2001), beim Festival d‘Aix-en-Provence (1998 bis 2000) sowie an der Scène nationale d’Orléans (2001 bis 2003). Er ist emeritierter Professor der University of California San Diego, wo er von 2004 bis 2012 unterrichtete. Anschließend lehrte er in Straßburg an der Académie Supérieure de la Haute École des Arts du Rhin. Im Rahmen des Straßburger Festivals Musica fand von 2015 bis 2018 seine eigene Akademie für junge Komponistinnen und Komponisten statt. 2017 folgte er zudem der Einladung des Collège de France, am Lehrstuhl „Chaire Annuelle de Création Artistique“ eine offene Vorlesungsreihe zu gestalten.
Für seine Werke ist Philippe Manoury mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Das französische Kulturministerium ernannte ihn 2014 zum Officier des Arts et des Lettres. Philippe Manoury ist Mitglied des Ehrenkomitees des Deutsch-französischen Fonds für zeitgenössische Musik/Impuls Neue Musik. Seit Sommer 2015 ist er Mitglied der Akademie der Künste zu Berlin.
Die Werke von Philippe Manoury werden von Universal/Éditions Durand-Salabert-Eschig verlegt. Eine Sammlung von Schriften des und über den Komponisten findet sich auf seinem Blog: www.philippemanoury.com
Saison 2020/2021
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