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Als Komponist bin ich mit meinem ganzen schöpferischen Tun jemand, der vollkommen in die Vermittlungskraft der Musik vertraut. Musik hat eine ganz eigene Kraft, auch weil sie vorrangig eine Universalsprache ist, die jeden, der sich auf Sie unvoreingenommen einlässt, in den Bann zieht. Letzteres ist meine Ambition auf musikalischer Ebene und mit jedem neuen Stück erhoffe ich mir, dass diese Unvoreingenommenheit auch auf andere Aspekte und Bereiche unseres Lebens abfärbt.
Als mich das Osnabrücker Symphonieorchester Mitte 2013 anfragte, ob ich mir vorstellen könnte, ein neues Werk zu komponieren, dass zum Anlass der siebzigsten Wiederkehr des Endes des Zweiten Weltkriegs, das auch in Russland zusammen mit einem russischen Orchester auf den Monat genau in 2015 nicht nur in Moskau, sondern auch in Wolgograd (dem ehemaligen Stalingrad) aufgeführt werden würde, habe ich, obwohl des ungeheuren Gewichts das auf dem Datum Mai 2015 liegt, als Deutscher 1968 geboren, sofort mit Freude zugesagt. Eine Musik die zur Unvoreingenommenheit ermuntert, hat die Kraft ganz für sich alleine zu stehen. Aber genau diese Musik hat auch das Potenzial, zu einem bestimmten Anlass geschrieben, genau die gleiche Wirkung zu erzielen. Darum geht es mir in meinem Orchesterwerk EHRFURCHT/ANDACHT: Ein Angebot an die Hörer sich zurückzunehmen, sich zu entschleunigen und sich auf das zu besinnen, was war, was ist und gegebenenfalls auf das, was vor einem liegt aus vielen Winkeln betrachten und damit neu erleben zu können. Das ist die eigentliche Kraft der Musik - und daher lässt sich Musik auch für nichts in der Welt vereinnahmen, das nicht auch diesem Gedanken folgt.
Die Musik meines Orchesterwerks EHRFURCHT/ANDACHT wird unter die Haut gehen, aber dennoch bleibt sie auch schön. Das war mir das wichtigste, nicht bloß den Krieg als Klangflut abzubilden (was ich ohnehin nicht könnte) und ein "Kriegsstück" zu schreiben, sondern gerade auch das Schöne dennoch einen Platz in der musikalischen Setzung findet. So ging es ja auch Dmitri Schostakowitsch bei seiner 7. Symphonie. Den Krieg, den er selber am eigenen Leib erfahren hatte, spart er in seinem Werk zwar nicht aus - er schwingt immer mit - aber es gibt dabei auch das Schöne, und dadurch die Hoffnung, an etwas festzuhalten, das Schreckliche zu überwinden.
Auch deshalb nenne ich das Werk ganz einfach REVERENCE; also Andacht. Es geht um Gedanken und gleichzeitig um Gedenken - mehr bleibt einem letzten Endes nicht. Aber Gedanken haben gerade im Gedenken eine so große Kraft, uns in eine Lage zu versetzen, uns zu ermuntern, nach allem was war, stets wieder aufeinander zu zu gehen.
Entschleunigung, Andacht, Gedenken und daraus ein Aufeinanderzugehen - das ist der Wunsch meines Stücks, ganz gleich ob in Ost aber auch West, ob im Süden oder im Norden.
Wenn wir das als Menschheitsgesellschaft schaffen im gemeinsamen Miteinander, ein Aufeinanderzugehen - dann hat das eine viel größere, unheimlichere Kraft, als jede noch so schreckliche kriegerische Auseinandersetzung, derer wir mit diesen Konzerten gedenken und gleichzeitig aber auch in diesen Gedanken nach vorne schauen zu wollen, gemeinsam und hoffentlich nie wieder getrennt zu werden.
Es ist seit der Beauftragung des Orchesterwerks in 2013 viel geschehen, wo man gerade als Künstler lieber den Kopf in den Sand stecken würde.
Gern erinnere ich mich immer wieder an Willy Brandt, der einmal sagte:
"Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts".
Dem ist nichts hinzuzufügen. Doch gerade in diesen Tagen möchte ich uns alle an die Worte Goethes erinnern, die da lauten:
"Es ist nicht genug zu wissen - man muss auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen - man muss auch tun."
Jens Joneleit
Berlin im November 2014