mit Tenor
Wiener Musikverein; Kenneth Riegel,T; ORF Radio-Symphonieorchester Wien; Leitung Friedrich Cerha
Zu bevor es zu spät ist...: Meine Betroffenheit, die mich befiel, als ich die letzten Seiten des Romans „Holzfällen“ von Thomas Bernhard las, ist mir in unauslöschlicher Erinnerung. Ich erinnerte mich dabei lebhaft an die Nächte, in denen ich - wie der Ich-Erzähler im Roman - durch meine Stadt lief, die ich hasste und doch wusste, dass ich mit tausend Fesseln an sie gekettet war und auf die Dauer in keiner anderen leben konnte. Und im immer-wieder-Lesen dieser Seiten wurden sie mir zur Musik, einer nervösen, hastigen, unruhigen, - einer Musik des sinnlosen Vorwärtsstürmens, des Getrieben-Seins, des Gehetzt-Werdens.
Ich machte mich sofort ans Komponieren. Freilich wusste ich, dass ich mir die Rechte sichern musste. Ich rief Thomas Bernhard, den ich seit den Fünfzigerjahren gut kannte, an und wir vereinbarten ein Treffen für unsere diesbezügliche Besprechung. Ich war zuversichtlich, erinnerte ich mich doch seines Verständnisses im Zusammenhang mit meinem Requiem für Hollensteiner nach Stellen aus seinem Roman „Gehen“. Sein Tod verhinderte unsere Begegnung und erschütterte mich so, dass ich das Stück beiseite legte. Nach einem Briefwechsel der Verlage um die Rechte und einem grundsätzlich positiven Bescheid, was die Vertonung betrifft, arbeitete ich 1990 an dem Stück weiter. Vollständig habe ich die Komposition und die redaktionelle Arbeit erst 1997- 1999 im Auftrag der Gesellschaft der Musikfreunde Wien fertiggestellt. Das Stück ist, wie der Text, dreiteilig gegliedert. Der erste Abschnitt („und ich lief durch die Gassen“) ist vom oben beschriebenen, unruhigen, hastigen Charakter geprägt und hauptsächlich im piano gehalten. Er wird beschlossen durch eine Steigerung („und dass diese Menschen meine Menschen sind“). Nach einem Orchesterzwischenspiel folgen die Reflexionen des zweiten Teils in einem ruhigeren Gestus („Wir wollen etwas Zureichendes sagen“). Der Schluss („und ich lief durch die Gassen“) nimmt den Charakter des Anfangs wieder auf und endet im Getrieben-Sein, das dem Wesen des Textes entspricht.
Friedrich Cerha