Friedrich Cerha

Auf der Suche nach meinem Gesicht

Titel
Auf der Suche nach meinem Gesicht
Untertitel
Liederzyklus nach Gedichten von Emil Breisach für Sopran, Bariton und Ensemble
Category
Vokalmusik
Gesang und Instrumentalensemble
Dauer
26:00
Anzahl Mitwirkende
7
Besetzung
Altflöte (Flöte, Piccolo) · Bassklarinette · Posaune · Viola · Kontrabass
Entstehung
2006
Uraufführung
2007-09-03
Brüssel, La Monnaie: Salle Malibra · Barbara Hannigan, Sopran · Georg Nigl, Bariton · Kammermuziekensemble van de Munt · Dir.: Peter Tomek

österreichische Erstaufführung: 1.Oktober 2007: Wien, Arnold Schönberg Center · Theresa Dlouhy, Sopran · Georg Nigl, Bariton · die reihe · Dir.: HK Gruber
Zusatz
Cycle of songs based on poems by Emil Breisach
Auftraggeber
La Monnaie de Munt, Brussels
Kommentare des Komponisten zum Werk

Ich habe Emil Breisach Ende der fünfziger Jahre kennengelernt und später mit ihm – dem Mitbegründer des Steirischen Herbstes und Chef des Grazer Rundfunks – bezüglich vieler Konzerte kontinuierlich zusammengearbeitet. Auf einer sehr bald sich ergebenden Vertrauensbasis ist mit der Zeit eine Freundschaft entstanden, ohne viele Worte, ohne die Euphorik des Freundschaftskults früherer Zeiten, aber aus der Gewissheit einer inneren Verbundenheit. Ich wusste um seine schriftstellerische Tätigkeit, kannte aber nichts von ihm. 2005 hat er mir zwei Gedichtbände geschickt: „Klangstaub“ und „Aderngeflecht“. Ich war sehr getroffen von der Thematik der Gedichte, dem Hintergrund an existenziellen Fragen, die uns alle betreffen: Zeit, Vergänglichkeit, Tod, ein schwankender Boden zwischenmenschlicher Beziehungen, die Sucht nach Höchstleistungen, – ins Buch der Rekorde zu kommen und die dahinter stehende Einsamkeit, die bedrohliche Leere für den Einzelnen. Und ich war auch fasziniert von der wortkargen, knappen Sprache ohne Pathos und Originalitätssucht. Die Lektüre löste in mir sofort klangliche Vorstellungen aus, die mich bedrückend bis in meine Träume verfolgten. Und so entstand 2006 ein Zyklus für Bariton und Orchester, den ich – wie einen der Bände – „Aderngeflecht“ nannte.   Noch während der Arbeit an diesem Werk schickte mir Breisach – er wusste nichts von meiner Vertonung – die Manuskripte von weiteren Gedichten, die später unter dem Titel „Augenblicke des Zauderns“ erschienen. Sie sind noch lakonischer, knapper, lapidarer in der Formulierung als die früheren. Gleichzeitig traf eine Anfrage von „La Monnaie/De Munt“ aus Brüssel ein, ob ich an einem Auftrag für Lieder mit Klavier interessiert sei. Nach der Fertigstellung von „Aderngeflecht“ komponierte es in mir sofort weiter an den neuen Gedichten; allerdings erschien mir das Klavier meiner klanglichen Vorstellung nicht adäquat. Ich schlug vier Instrumente vor, Brüssel akzeptierte. Später kamen eine weitere Singstimme und ein fünftes Instrument hinzu. Die Besetzung ist nun: Sopran, Bariton, Alt-flöte (auch Flöte und Piccolo), Bassklarinette, Posaune (mit unterschiedlichen Dämpfern), Viola und Kontrabass – alles tiefe Instrumente. Mit dieser Vorstellung von dunklen Klängen betrat ich Neuland; soweit ich es übersehen kann, gibt es diese Besetzung in der Literatur nicht. Sie erlaubte mir im Pianissimo das Meditativ-Dunkle, Bleiche, Aschfahle, aber in anderer Dynamik auch eine besondere Möglichkeit leidenschaftlicher Akzentuierung und gelegentlich dramatischer Aussagekraft. Mir drängten sich siebzehn Gedichte auf, zwei davon noch aus dem älteren Lyrikband „Klangstaub“. Sie gehen nahtlos ineinander über, bilden zusammen eine große Einheit. Als Titel – den späteren der Publikation „Augenblicke des Zauderns“ gab es damals noch nicht – wählte ich die Verszeile „Auf der Suche nach meinem Gesicht“. Die Diktion der Singstimme orientiert sich – wie in allen meinen Vokalwerken – vorzüglich am Tonfall der Sprache. Der Text ist sinn- und ausdrucksgemäß auf die beiden Singstimmen aufgeteilt. Die Auseinandersetzung mit Existenziellem, das Bedürfnis nach Unmittelbarkeit der Aussage, die Formulierung fern von allen modischen Trends oder gar Geboten in stilistischer Hinsicht lässt vielleicht erahnen, dass wir beide letztlich auch noch Wurzeln in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts haben, die wir nicht verleugnen können und wollen. Wie im „Aderngeflecht“ gibt es eine bevorzugte Intervallfolge, die auf verschiedenste Weise das Stück durchzieht und größtenteils Melodik und Harmonik, die für mich immer ein Ganzes bilden, bestimmt. Anders als im „Aderngeflecht“ gibt es darüber hinaus etwas wie einen melodischen Leit-gedanken, der deutlich am Anfang in der Altflöte, später in der Viola auftritt, an anderen Stellen – oft versteckt – in verschiedenen rhythmischen Formulierungen und Umkehrungen erscheint. Plakative thematische Arbeit wird freilich grundsätzlich vermieden.

Friedrich Cerha  

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