Auch die Uraufführung des Abends braucht sich nicht zu verstecken und hätte es verdient, als Repertoire in einen noch zu schreibenden Kanon der unmittelbaren Gegenwart einzugehen: Kurzweilig und doch unglaublich komplex, gut gebaut und im besten Sinne irritierend ist Vito Zurajs "Automatones" – zeitgenössische Orchestermusik vom Feinsten. Münchner Merkur, 16.10.2023
Kraftvolle und minutiös ausgearbeitete Kompositionen, die häufig szenische Elemente und Raumklangkonzepte einbeziehen und den Interpret:innen auf den Leib geschnitten sind, zeichnen den 1979 in Maribor geborenen Komponisten Vito Žuraj aus. Innerhalb kurzer Zeit setzten sich seine Werke im Konzertsaal durch, interpretiert unter anderem vom New York Philharmonic, dem BBC Scottish Symphony Orchestra, dem Helsinki Philharmonic Orchestra, dem Ensemble Modern und dem RIAS Kammerchor.
Nach dem Erfolg seiner ersten abendfüllenden Oper Blühen, die 2023 in einer Inszenierung von Brigitte Fassbaender mit dem Ensemble Modern an der Oper Frankfurt zu sehen war und vom Magazin Opernwelt als Uraufführung des Jahres ausgezeichnet wurde, steht in der Saison 2024/25 ein weiteres in Zusammenarbeit mit dem Librettisten Händl Klaus entstandenes Werk im Mittelpunkt: Der Helsinki Chamber Choir und das Ensemble Recherche unter Nils Schwenckendiek heben im Rahmen des Festivals Musica Nova in Helsinki die Komposition INNEN aus der Taufe. Ausgehend von Beethovens Schwerhörigkeit und Monets Augenleiden beschäftigt sich INNEN mit den Auswirkungen von Behinderungen und Erkrankungen auf das künstlerische Schaffen. Eine Nordamerikanische Erstaufführung steht außerdem in der aktuellen Spielzeit mit Anemoi an. Das Werk, im Mai 2024 mit großem Erfolg von den Berliner Philharmonikern unter François-Xavier Roth uraufgeführt, bezieht seine Inspiration vom achteckigen Turm der Winde auf der Römischen Agora in Athen mit seiner Darstellung der griechischen Windgötter und wird im März 2025 vom Esprit Orchestra in Toronto interpretiert.
Vito Žuraj studierte Komposition bei Marko Mihevc in Ljubljana und führte seine Studien anschließend bei Lothar Voigtländer in Dresden und bei Wolfgang Rihm in Karlsruhe fort. Seine Erfahrung mit Technik und Ästhetik elektronischer Klangerzeugung, die er in einem Masterstudium in Musiktechnologie bei Thomas A. Troge sowie am ZKM Karlsruhe sammelte und beim Experimentalstudio des SWR und dem IRCAM ausbaute, nutzt er inzwischen nicht nur für seine eigene kompositorische Arbeit: Seit 2015 ist er als Professor für Komposition und Musiktheorie an der Universität Ljubljana mit dem Aufbau eines Studios für elektronische Musik betraut; parallel zu einem Lehrauftrag in Karlsruhe (2007 bis 2021).
Als passionierter Tennisspieler nutzt Vito Žuraj seine Erfahrungen aus bestimmten Spielsituationen immer wieder als Inspiration für eine inzwischen umfangreiche Reihe von Werken, darunter das 2011 entstandene Changeover für Instrumentalgruppen und Orchester, uraufgeführt mit dem Ensemble Modern und dem hr-Sinfonieorchester unter Johannes Kalitzke. Auch das Hornkonzert Hawk-eye (2014), aufgeführt vom Slovenian Philharmonic Orchestra und dem BBC Scottish Symphony Orchestra unter Matthias Pintscher sowie dem Konzerthaus Orchester Berlin unter Simone Young, gehört zu dieser Serie.
Zahlreiche Ensembles und Orchester nehmen regelmäßig Werke von Vito Žuraj ins Programm. Seit langem verbindet ihn eine enge Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern, das zahlreiche Werke uraufgeführt hat, u.a. Runaround (2014), Übürall (2013), Restrung (2012) und Warm-up (2012), und das ihm 2017 an der Elbphilharmonie ein Komponistenporträt widmete. Das Klangforum Wien brachte unter anderem das 2013 entstandene Fired-up in Mailand, Paris und Wien zur Aufführung. Die halbszenisch angelegte Komposition Insideout wurde vom Scharoun Ensemble unter Matthias Pintscher bei den Salzburger Festspielen 2013 uraufgeführt und 2014 mit dem New York Philharmonic sowie 2016 mit dem Ensemble intercontemporain wiederaufgeführt. Zum 30. Jubiläum der Kölner Philharmonie wurde 2016 i-Formation für zwei Orchester und zwei Dirigenten aus der Taufe gehoben, gespielt vom WDR Sinfonieorchester unter Jukka-Pekka Saraste und dem Gürzenich-Orchester Köln unter François-Xavier Roth. Die Ensemblekomposition Tension war 2018 bei den Wittener Tagen für Neue Kammermusik mit dem Klangforum Wien unter Emilio Pomárico und erneut in Wien unter Peter Rundel zu hören. Zudem brachte das Philharmonia Orchestra 2018 die englische
Fassung seiner Farce Ubuquity für Sopran und Ensemble zur Uraufführung. Für das SWR Vokalensemble und das SWR Symphonieorchester entstand die Komposition Der Verwandler, die sich mit dem Alchemisten Johann Friedrich Böttger, Erfinder des europäischen Porzellans, auseinandersetzt. Hors d’oeuvre für Koch-Performer und Kammerorchester war zuletzt 2023 beim Romaeuropa Festival in Rom mit dem Ensemble Modern zu erleben; das Werk beschäftigt sich mit Ritualen in Küche und Komposition und wurde 2019 vom WDR Sinfonieorchester unter Peter Rundel gemeinsam mit dem Sternekoch Daniel Gottschlich aus der Taufe gehoben.
2020 feierte Vito Žuraj einen großen Erfolg mit Begehren – zersplittert, einem Konzert für mikrotonal umgestimmte Harfe und Streicher, uraufgeführt von Marion Ravot und dem Münchener Kammerorchester. 2021 fand in Köln zudem die Uraufführung seines Orchesterwerks Api-danza macabra statt, interpretiert vom WDR Sinfonieorchester Köln unter der Leitung von Cristian Măcelaru und später vom Gürzenich Orchester, dem Helsinki Philharmonic Orchestra und dem Slovenian Philharmonic Orchestra. In der Saison 2021/22 brachte Jean-Guihen Queyras das Cellokonzert Unveiled mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Kerem Hasan zur Uraufführung, das anschließend mit dem Gürzenich-Orchester unter François-Xavier Roth aufgeführt und vom International Rostrum of Composers ausgezeichnet wurde. In der vergangenen Saison standen neben Anemoi zwei weitere Orchesterwerke im Mittelpunkt: L’idiot triste für Trompete und Streichorchester – mit einer Paraphrase des Trompetenintros aus Viktor Ullmanns in Theresienstadt komponierter Kammeroper Der Kaiser von Atlantis – wurde mit der Slowenischen Philharmonie und Jeroen Berwaerts uraufgeführt; als Ko-Auftraggeber spielten das Ensemble Resonanz und das Aichi Chamber Orchestra das Werk an der Elbphilharmonie beziehungsweise am Aichi Prefectual Art Theater als jeweilige Erstaufführung. Im Oktober 2023 folgte die höchst erfolgreiche Uraufführung von Automatones durch das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Sir Simon Rattle; die Automatones, von Menschenhand geschaffene Wesen aus der griechischen Mythologie, stehen als Archetypen für künstliche Intelligenz.
2016 erhielt Vito Žuraj den Claudio-Abbado-Kompositionspreis der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker; die daraufhin entstandene Auftragskomposition Alavò kam in Berlin, Paris und Luzern zur Aufführung. Vito Žuraj ist zudem Träger des Kompositionspreises der Landeshauptstadt Stuttgart 2012 sowie des Prešeren-Förder-Preises, der höchsten Auszeichnung für Kultur des slowenischen Staates. 2014 war er Stipendiat der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo, der Akademie der Künste in Berlin sowie des ZKM Karlsruhe, 2020/21 des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg und 2023 Fellow der Civitella Ranieri Stiftung. Anfang 2019 wurde er für eine Dauer von drei Jahren als Jurymitglied in das Gremium berufen, das die Stipendiat:innen für die Villa Massimo, die Casa Baldi in Olevano, das Deutsche Studienzentrum in Venedig und die Cité des Arts in Paris auswählt.
Aufnahmen von Vito Žurajs Werken wurden unter anderem beim Label Neos veröffentlicht, zuletzt im November 2021 das Porträtalbum Alavò. Schon 2015 ist bei Wergo in der Edition zeitgenössische Musik des Deutschen Musikrats eine Porträt-CD erschienen.
Saison 2024/25
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