Friedrich Cerha, 1926-2023

Friedrich Cerha ist am Morgen des 14. Februar, wenige Tage vor seinem 97. Geburtstag, gestorben. Wir trauern um einen großen Künstler, einen der wichtigsten Komponisten unserer Zeit und stets wachen, kritischen Zeitgenossen.

Wir trauern um den großen österreichischen Komponisten Friedrich Cerha, der gestern, am 14.2.2023, drei Tage vor seinem 97. Geburtstag, in seiner Heimatstadt Wien gestorben ist.

Cerha war bis kurz vor seinem Tod schöpferisch tätig, in erster Linie als Komponist, aber stets auch als bildender Künstler. Er hinterlässt ein umfangreiches Œuvre, das großformatige Musiktheaterwerke sowie Orchester-, Solo- und Kammermusik-Kompositionen für höchst unterschiedliche Besetzungen einschließt – sowie über 1000 Bilder, die zum größten Teil noch nie öffentlich gezeigt wurden.

Seinen größten Einzelerfolg erzielte Cerha vermutlich mit seiner ersten Oper Baal nach dem Drama von Brecht, einer Auftragskomposition der Salzburger Festspiele und der Wiener Staatsoper. Die Inszenierung von Otto Schenk wurde im Anschluss an die Uraufführung 1981 an vielen deutschen Bühnen gezeigt. Cerhas dringender Wunsch, das Werk noch einmal live zu erleben, ging danach leider nicht mehr Erfüllung.

Dagegen feierte er mit seinem schon 1960 geschriebenen utopischen Werk Spiegel einen späten Erfolg, der zur Zeit der Entstehung sicher außerhalb seiner Vorstellungskraft lag. Das abendfüllende Orchesterwerk für riesiges Orchester wurde erst 1979 uraufgeführt und genießt inzwischen Kultstatus.

Aus Anlass der CD-Veröffentlichung fasste Hans Zender seine Sicht auf das Schaffen des Kollegen so zusammen: „Wenn man heute, 50 Jahre zurückblickend, auf die Spiegel des jungen Cerha stößt, so weiß man nicht, was man mehr bewundern soll: die Meisterschaft in der Handhabung der damals neuen Mittel, das Erscheinen einer deutlich erkennbaren Individualität innerhalb einer Textur, die geeignet wäre, das Individuelle zu nivellieren, oder die spätere Entschlossenheit des Komponisten, die gefundene – schmale – Basis einer kompositorischen Erkennungsmarke so bald wie möglich wieder zu verlassen. Zu verlassen zugunsten einer stilistischen Öffnung zur vollen Weite und Freiheit der vielen Facetten der Moderne, zu einer auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte ganz selbstverständlich einschließenden universalen Haltung eines großen Musikers, dessen Eigenart sich nicht auf die geltenden Formeln unseres Musikbetriebes bringen lässt. Gerade in der Vielfarbigkeit seiner stilistischen Palette verkörpert Cerha in seinem Gesamtwerk den Geist nicht einer doktrinären, sondern einer die Mittel als solche frei nutzenden und immer wieder neu bestimmenden lebendigen Moderne auf einzigartige Weise.“

Cerha ist nicht nur ein großer Komponist, sondern hat das österreichische Musikleben seiner Zeit auch als Dirigent, Kompositionslehrer und kritischer Zeitgenosse entscheidend mitgeprägt. Gemeinsam mit seiner Frau Gertraud und Kurt Schwertsik gründete er schon 1958 das Ensemble „die reihe“, eines der ersten internationalen Solistenensembles, das im Wiener Konzerthaus ein großes Publikum fand und als österreichischer Botschafter der Moderne in ganz Europa auftrat.

In meiner Zeit als Generalsekretär des Wiener Konzerthauses in der ersten Hälfte der 90er Jahre war die Erinnerung an die Konzerte der reihe im Mozartsaal noch ganz lebendig. Ich selbst hatte Cerha schon zuvor bei etlichen Projekten mit dem Ensemble Modern kennen und schätzen gelernt. Umso mehr habe ich mich über die enge Zusammenarbeit gefreut, die schon kurz nach der Gründung unseres Musik-Managements 2004 in Berlin begann. Sie fiel mit einer besonders fruchtbaren Phase in Cerhas Leben zusammen. In dieser Zeit hat er eine Vielzahl größerer und kleinerer Meisterwerke für Orchester geschrieben, die er meist in Zyklen mit Titeln wie Momente, Instants, Tagebuch oder Kammermusik für Orchester zusammenfasste. Sein Schlagzeugkonzert, das auch in diese Zeit fällt, gilt schon heute als wichtiges Repertoire-Werk.

Cerha hinterlässt uns einen großen Schatz, der uns noch bis ans Ende unseres eigenen Lebens beschäftigen wird.

Karsten Witt

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