Der Funke ist übergesprungen: Wenn Alejo Pérez
von seiner neuen Position als Musikdirektor der Opera Ballet Vlaanderen
spricht, die er ab der Saison 2019/2020 übernimmt, betont er die große
Affinität, die er zum Orchester und zum gesamten Team des Hauses
verspüre. „Man sollte das nicht unterschätzen: Die Chemie muss stimmen,
das ist essentiell für jedes künstlerische Projekt. Ich freue mich
darauf, an diesem Haus nun wieder und wieder diese Atmosphäre von
Leidenschaft für die Musik atmen zu können, die mir so entspricht“, sagt
der Dirigent, der in Flandern 2018 mit Pelléas et Mélisande (Inszenierung und Bühne: Sidi Larbi Cherkaoui, Damien Jalet, Marina Abramovic) debütierte – und reüssierte.
Das Publikum feierte die Vorstellungen mit frenetischem Applaus und die
internationale Presse jubelte; Eleonore Büning beispielsweise sprach
dem Dirigenten, „der das Orchester der Flämischen Oper mit scharfem
Blick fürs Detail und zugleich mit Sinn für den großen Bogen führt“, in
der Neuen Zürcher Zeitung „den höchsten Anteil am Gelingen in einer
insgesamt spektakulären Inszenierung“ zu.
Ein wichtiger Faktor für Alejo Pérez‘ Vorfreude ist die zweite
Personalie am Opernhaus – ernannt wurde er nämlich von dessen
designiertem Intendanten. „Ich bin sehr glücklich, mit Jan Vandenhouwe
zusammen arbeiten zu dürfen, dessen Vision für die Zukunft des Ensembles
meiner entspricht“, sagt der Argentinier, der auch als Gastdirigent
Wert darauf legt, durch frühzeitigen Austausch das musikalische und das
Regiekonzept in Einklang zu bringen. Sein Sinn für den Stellenwert von
Entscheidungsmöglichkeiten im künstlerischen Team wuchs insbesondere in
seiner Zeit als musikalischer Leiter des Teatro Argentino de La Plata,
an dem er als junger Dirigent großes Repertoire realisierte, und als
einer der künstlerisch prägenden Stammdirigenten am Teatro Real Madrid
während der Ära Gerard Mortier.
„Das Spannende ist, dass die musikalische Seite das Geschehen trägt.
Vieles über die Psychologie der Figuren ist in der Musik schon
erkennbar“, erläutert er seine Rolle in diesem Prozess. Von Regisseuren
erwarte er sich deshalb nicht unbedingt besondere musikalische
Fachkenntnisse, sondern er wünscht sich ein genaues Hinhören und Respekt
für die Eigendynamik der musikalischen Dramaturgie. Sein eigenes Gespür
dafür wird er in seiner ersten Saison als Musikdirektor in Gent und
Antwerpen mit zwei Neuproduktionen unter Beweis stellen.
Im Konzert spielt Alejo Pérez diese Stärke genauso aus – wo andere
Dirigenten vielleicht abstrakte Symphonik vor sich auf dem Pult sehen,
spürt er stets einem dramatischen, quasi- psychologischen Faden nach,
der seine Interpretationen so plastisch erscheinen lässt. Gemäß der
Entscheidung des neuen Intendanten, den sinfonischen Bereich in Zukunft
zu stärken, wird Alejo Pérez das Symphonieorchester der Opera Vlaanderen
in mehreren Konzertprogrammen pro Saison dirigieren.
„Ich liebe beides, Oper und Konzert“, betont der Dirigent und beschwört
die Magie des Augenblickes, die hier wie dort eintreten kann. „Zusammen
mit den Sängern und den Musikern genieße ich dieses Gefühl von ‚heute
Abend wird es unbedingt anders’. Manchmal stehen die Sterne einfach alle
in einer Reihe, und dann passiert es: Dieses einander Zuhören und dann
auf jeden Vorschlag Eingehen, als wäre es Kammermusik. Es gehört eine
gewisse Freiheit dazu, man atmet jeden Abend anders, und es ist
spannend, diese Nuancen, diese Bereitschaften von den vielen Künstlern,
die vor Dir auf der Bühne stehen, zu spüren und darauf zu reagieren. Das
macht den Beruf besonders aufregend.“
Nina Rohlfs, 2019