Nach dem erfolgreichen ersten Durchgang im Studienjahr 2014/15 können sich junge Dirigentinnen und Dirigenten zum zweiten Mal für ein neues und international einzigartiges Studienangebot bewerben: Die International Conducting Academy Berlin (ICAB), konzipiert und geleitet von Steven Sloane, bietet neben einem zweijährigen Master-Studiengang die Möglichkeit zu einem einjährigen, auf die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmer zugeschnittenen Postgraduiertenstudium. Damit können an der Universität der Künste in Berlin fertig ausgebildete Dirigenten mit erster Berufserfahrung auf sehr konzentrierte Weise an ihren Fähigkeiten arbeiten und dabei von vielfältigen Kooperationen, unter anderem mit Berliner Orchestern und Opernhäusern, profitieren.
Pablo Rus Broseta, einer der ersten beiden Studenten dieses Advanced Professional Training for Conductors, erklärt, warum es für einen beruflich schon erfolgreichen Dirigenten wie ihn die richtige Entscheidung war, noch einmal den Weg an die Hochschule zu suchen. „Es stimmt, dass ich inzwischen wichtige Konzerte dirigiere. Das Leben als Dirigent kann aber plötzlich sehr einsam sein: Niemand kommt auf dich zu und sagt, Vorsicht in diesem Takt, das hier solltest Du mal anders ausprobieren. Sicherlich habe ich schon vorher auf professionellem Niveau dirigiert, aber während dieses Jahres kann ich mich mit qualifiziertem Feedback noch deutlich weiterentwickeln.“
„Einen Dirigenten gibt es eben in der Regel nur einmal im Raum“, bestätigt Harry Curtis, der an der ICAB gemeinsam mit Steven Sloane unterrichtet und als Kurskoordinator die vielen organisatorischen Fäden des Studienprogrammes in der Hand hält. „Die Orchestermusiker merken, wenn etwas nicht geklappt hat. Aber nicht warum! Und diese Information bekommen die Studenten von uns. Die Akademie soll deshalb eine Plattform dafür schaffen, dass sie sich so oft und so viel wie möglich in einer Praxissituation befinden – aber nicht ohne Hilfe“, sagt er. In der Realität sieht das für Pablo Rus Broseta so aus: „Am Anfang des Semesters schaue ich mir den Plan an und weiß zum Beispiel, im Oktober geht es zu den Orchestern nach Frankfurt und Brandenburg. Also habe ich vielleicht einen Monat Zeit, um zwei verschiedene Programme vorzubereiten – eine Menge Arbeit, aber genau so ist später, wenn alles gut läuft, ja auch der Berufsalltag.“
In der Informationsbroschüre, mit der die Universität der Künste das neue Studienangebot bewirbt, wird die Etymologie des englischen Begriffes für Dirigieren, to conduct, erklärt: Es bedeute ursprünglich „zusammenführen“. Genau dies tut die ICAB: Sowohl auf der Hochschulebene als auch in Bezug auf die kulturellen Möglichkeiten der Musikstadt Berlin vernetzt sie die verschiedensten Akteure und Ressourcen miteinander – und lässt damit die Handschrift von Steven Sloane erkennen. Auch andernorts ist er schließlich nicht nur am Pult, sondern auch in diesem erweiterten Sinne als „conductor“ bekannt. Besonders der Neubau des Konzerthauses in Bochum, den er als Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker auf den Weg gebracht hat, zieht momentan mediale Aufmerksamkeit auf sich: Angesichts der Debatten um den Münchener Gasteig interessiert man sich jetzt auch außerhalb des Ruhrgebietes enorm dafür, wie in einer wirtschaftlich alles andere als starken Stadt durch die Mobilisierung bürgerschaftlichen Engagements und durch eine kluge Planung ein Haus entstehen kann, das – zu überschaubaren Kosten – die Bedürfnisse des Orchesters erfüllt und das daneben als Sitz der Bochumer Musikschule ein Ort der musikalischen Bildung und Begegnung sein wird. Und auch sonst gehören das Zusammenbringen von Menschen und die Bündelung der vor Ort vorhandenen kulturellen Kräfte zu den Hauptprinzipien, mit denen Steven Sloane in und um Bochum als Netzwerker für sein Konzerthaus, als Mitgestalter des eindrucksvollen musikalischen Programmes des Kulturhauptstadtjahres Ruhr 2010, in seinen zahllosen kleinen und großen Projekten im Ruhrgebiet Erfolge erzielt und um ihn herum Enthusiasmus weckt.
Doch zurück zur ICAB: Harry Curtis erklärt, wie dort das Ziel der Kooperation und Vernetzung verwirklicht wird. Da ist zunächst die Hochschule, die mit all ihren Facetten genutzt werden kann. Tonmeister, Komponisten, Spezialisten für Alte Musik, Sängerinnen und Sänger – sie alle studieren beziehungsweise lehren schließlich quasi nur ein paar Räume entfernt, so dass sich sowohl projektweise Kooperationen als auch individuelle Treffen zu speziellen Fragen der Dirigierstudenten jederzeit organisieren lassen. Besonders von der Zusammenarbeit mit dem Studiengang Musiktheater, unter anderem in Form von szenischen Opernproben mit Sängern und Orchester, erzählt Pablo Rus Broseta mit Begeisterung. „Ich habe auf diesem Gebiet bisher nicht so viel gearbeitet, deshalb ist es besonders wichtig für mich. Und Steven Sloane ist ein großartiger Lehrer für Oper. Von ihm lerne ich viel darüber, wie sich Drama entwickelt, wie alles mit dem Text zusammenhängt. Auch seine spezielle Technik für das Opernrepertoire war neu für mich; er hat sich da wirklich ein eigenes dirigentisches Vokabular geschaffen.“
Um sehr flexibel auf die Lernbedürfnisse der Teilnehmer eingehen zu können, die schließlich schon unterschiedliche Berufserfahrung mitbringen und die außerdem parallel zu ihrem Studium eine eigene Agenda mit verschiedensten Engagements bewältigen, gibt es für das Advanced Professional Training for Conductors eine spezielle organisatorische Konstellation: Als Weiterbildungsprogramm dem Berlin Career College der UdK angegliedert, bietet es schon bei der Zulassung mehr Freiheiten als Studiengänge, die das komplizierte Anerkennungsverfahren des deutschen Hochschulwesens durchlaufen haben. So müssen Bewerberinnen und Bewerber nicht zwingend über Deutschkenntnisse verfügen und auch kein formales Dirigierstudium abgeschlossen haben, solange sie ihre technische und künstlerische Reife beweisen können. Es gibt zudem keine fest definierte Studienordnung, erklärt Harry Curtis. „Wenn Pablo zum Beispiel ein Konzert hat oder wenn er mehr Oper machen möchte, dann können wir darauf eingehen. Das sind Dinge, die man auch durch die kleine Zahl der Studierenden sehr individuell gestalten kann.“
Und gerade damit ließen sich international die Bewerber ansprechen, die man sich wünscht. „Man kann keinen Anfänger vor ein Berufsorchester stellen. Und weil wir ständig mit Orchester arbeiten, wollten wir nur sehr fortgeschrittene Studenten haben, die wirklich davon profitieren können“, erklärt Harry Curtis und konkretisiert, wie diese Arbeit mit Orchestern gestaltet ist. „ Wir bieten drei Arten von Orchestererlebnis: Wir haben das studentisch besetzte Studioorchester, mit dem bestimmte Projekte innerhalb der Hochschule realisiert werden. Außerdem gibt es Berufsorchester, die wir für Meisterkurse und Konzerte engagieren, dazu gehören die Brandenburger Symphoniker, die Neue Philharmonie Westfalen, die Bochumer Symphoniker – deutsche Orchester von A bis Z, die wir besuchen oder die uns besuchen. Und dann gibt es diese recht ungewöhnliche Sache, die Kooperation mit Berliner Institutionen und mit Opernhäusern und Orchestern in Deutschland. Als unsere Partner haben sie selbst ein Interesse an der Weiterbildung von Dirigenten auf diesem Niveau. Mit der Deutschen Oper haben wir eine Kooperation entwickelt, mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin werden wir demnächst Schostakowitschs Fünfte proben; die Komische Oper ist auch dabei.“
Neben Hochschule und Kulturinstitutionen gibt es noch einen dritten Partner, einen Lehrer sozusagen, der den Studierenden stets zur Verfügung steht, und das ist die Kulturmetropole Berlin. „Berlin ist wirklich eine führende Stadt, eine tolle Stadt, um hier zu studieren“, sagt Harry Curtis. „Es ist schade, wenn es in so einer Stadt keine attraktiven Kursangebote gibt und man stattdessen in einem kleinen Ort studiert, wo es abends nichts zu gucken gibt. Hierher kommen alle großen Dirigenten, man kann sich in der Philharmonie Proben anschauen und davon profitieren. Ein ambitionierter Dirigent hat hier wirklich sehr viele Chancen.“ Pablo Rus Broseta bestätigt, dass die Stadt für seine Bewerbung mit ausschlaggebend war. „Schon immer wollte ich eine Zeitlang in Berlin leben. Die Stadt ist voller Kultur – ich habe an einigen interessanten Orten in Europa gelebt, in Amsterdam, Lyon und Paris, aber kaum irgendwo findet man mehr Orchester als hier und solch eine offene Atmosphäre.“
Harry Curtis sieht entsprechend gute Aussichten dafür, dass sich die ICAB innerhalb der nächsten Jahre zu einem der weltweit wichtigsten Zentren für die Ausbildung von Dirigenten entwickeln kann. „Es ist gerade eine Zeit, in der nicht ganz klar ist, wo man am besten studiert und ob die Schulen, zu denen man bisher gerne gegangen ist, immer noch so gut sind. Es gibt deshalb momentan eine besondere Chance, etwas Neues für die Ausbildung von Dirigenten zu entwickeln. Sicherlich ist es mutig von der Universität der Künste, diesen etwas anderen Weg zu gehen. Ich glaube aber, mit der Zeit wird die ICAB Kräfte erwecken: Agenturen, Theater, Orchester werden zum Beispiel verfolgen, wer gerade hier studiert und sich für unsere Absolventen interessieren.“
Pablo Rus Broseta jedenfalls startet nach seiner Zeit an der ICAB,
gestärkt durch ein Jahr Feedback und routiniert wie nie, im Sommer zu
neuen Ufern: als Assistant Conductor des Seattle Symphony Orchestra.
Weitere Informationen: www.udk-berlin.de
Nina Rohlfs, 03/2015