Porträt des Ural Philharmonic Orchestra, erstmals publiziert 2014
„Das Ural Philharmonic Orchestra ist meiner Meinung nach eines der besten Orchester in Russland – und das bedeutet: in Europa –, weil das Niveau der Musiker sehr hoch ist. (…) Einer der wesentlichen Vorzüge dieses Orchesters ist sein unglaubliches Temperament und die Fähigkeit der Musiker, aufeinander zu achten. Das ist eine sehr wichtige Qualität, die jedes Mal einen großen Eindruck auf mich macht.“ – Vadim Repin
Gemessen am Medienrummel einiger russischer Dirigentenkollegen ist Dmitry Liss eher ein Freund der leisen Töne – zumindest außerhalb der Bühne. Erst vor kurzem sind deutsche Medien wie die Süddeutsche Zeitung, die FAZ oder „Das Orchester“ aufmerksam geworden auf die wegweisende und hochqualitative Kulturarbeit im fernen Jekaterinburg. Aus diesem Landstrich drangen tatsächlich lange Zeit keinerlei Nachrichten nach Europa durch, da die Region Swerdlowsk, die Wiege der Rüstungs- und Atomindustrie, zu Sowjetzeiten komplett von der Außenwelt abgeriegelt war.
Mitte der Neunziger beginnt die gemeinsame Erfolgsgeschichte von Dmitry Liss, dem Künstlerischen Leiter des Ural Philharmonic Orchestra und Alexander Kolotursky, dem Direktor der Swerdlowsk State Philharmony, die außerdem einen Chor und ein Jugendorchester umfasst. Über 18 Jahre hinweg wurde das UPO von Liss und Kolotursky sukzessive auf internationales Niveau gebracht und die Philharmonie als solche zum anerkannten Bestandteil der Stadt. Heute zählt das Orchester zu den besten Klangkörpern Russlands. Dabei wurde bemerkenswerterweise kein einziger Musiker vor die Tür gesetzt. Vielmehr war es Liss gelungen, die Orchestermusiker mit ins Boot zu holen und die gemeinsame Einstellung zu verändern. „ Alles hat sich verändert seit damals, so Liss gegenüber der Zeitschrift „Das Orchester“. „Vor allem aber das Selbstbewusstsein des Orchesters, seine Haltung. Als ich kam, waren die Musiker sehr introvertiert, um nicht zu sagen, frustriert. Dabei ist das Orchester mehr als 70 Jahre alt und damit einer der ältesten Klangkörper Russlands. Das Orchester hatte auch schon vor 18 Jahrein einen hervorragenden Ruf. Aber unter russischen Musikern! Im Ausland war es unbekannt und in der Stadt spielte es keine Rolle.“
Wie professionell und zukunftsgewandt an der Philharmonie in Jekaterinburg gearbeitet wird, zeigt nicht nur die umfassende pädagogische Arbeit und ein Freundeskreis mit 24.000 Mitgliedern, sondern insbesondere die Vernetzung bis ins kleinste Dorf der Region Swerdlowsk. Sämtliche Konzerte, die Dmitry Liss in der Philharmonie dirigiert, werden per Breitband-Internetverbindung in über zwanzig Kulturzentren und Bibliotheken der gesamten Region übertragen.
Der eigene Zyklus am Mariinsky-Theater als einziges auswärtiges Orchester zeigt, welches Renommée das UPO in Russland hat. Auch über Russland hinaus genießt der feinsinnige und weltgewandte Chefdirigent Dmitry Liss und sein Orchester einen hervorragenden Ruf. So gastiert er mit dem UPO regelmäßig bei den Folles Journées (so auch 2014 in Nantes zum Schwerpunkt amerikanische Musik) und an der Salle Pleyel. Ihr erster Gastspielauftritt beim Beethovenfest Bonn im September 2013 löste minutenlangen Applaus und stehende Ovationen aus. In letzter Zeit hat Dmitry Liss u.a. mit dem Orchestre National de Paris, Bergen Philharmonic Orchestra, dem niederländischen Radio Symfonie Orkest, dem Residentie Orkest, der Ungarischen Nationalphilharmonie und dem Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra zusammengearbeitet.
Zum Profil von Dmitry Liss gehört auch sein Einsatz für unbekannteres und modernes russisches Repertoire. Dazu gehört das Werk Nikolai Miaskovskys, Schüler von Rimsky- Korsakov und Wegbegleiter Prokofievs, dessen Sinfonien er regelmäßig auf das Programm setzt. Darüber hinaus hat Liss mit dem Ural Philharmoic Orchestra umfangreiche Einspielungen von Avet Terteryan und Galina Ustvolskaya vorgelegt. Eine offene und selbstbewusste Haltung, die bei Solisten wie Boris Berezowsky, Vadim Repin oder Denis Masuev große Anerkennung findet.
„Das UPO ist erstaunlich flexibel und wird jedem Programm gerecht. (…) Dieses Orchester hat seinen eigenen Stil, seinen eigenen Geschmack, und ich würde sagen, auch seinen eigene musikalische Textur, weil die Streicher einfach einzigartig sind. Auch im Ensemblespiel beweist es höchstes Niveau. Keine Bewegung des Solisten, die dem Orchester oder seinem Dirigenten entginge.” – Denis Matsuev
KWMM, 2014