Werner Wolff nahm sich Zeit, uns in die historische Entwicklung der Musiknotation einzuführen und vom täglichen Geschäft seiner Firma zu erzählen, die sich seit 2001 unter anderem damit beschäftigt, jeden Punkt an die richtige Stelle zu setzen.
Als eines der führenden Büros für Notensatz in Europa ist Notengrafik Berlin auf zeitgenössische Musik spezialisiert und erstellt im Auftrag internationaler Musikverlage unter anderem das Aufführungsmaterial für rund 20 neue Werke im Jahr, vom Streichquartett bis zur abendfüllenden Oper. Dass dafür eine gehörige Portion Expertise vonnöten ist, die auch nicht durch digitale Technik ersetzt werden kann, wird in Werner Wolffs Vortrag schnell klar. Auf einer technischen Ebene geht es besonders um kontextsensitive Zeichen, mit denen sich Computer schwertun – als humoristische Einladungen zum Missverständnis verdeutlicht dies die Bildreihe mit korrekt fehlplatzierten Punkten unmittelbar. „All die Programme, die ab den 90ern Verbreitung fanden und die wir heute benutzen – Finale, Sibelius, etc. – sind eigentlich keine professionellen Anwendungen für Notensatz, sondern Consumer Software. Wie soll ich sagen – Buchdruck macht man auch nicht mit Word“, korrigiert Werner Wolff das Missverständnis, man könne heute am heimischen PC kostensparend auch komplexe Materialien erstellen. Hinzu kommt die musikalisch-technische Expertise des Notensetzers, der auch Lektorats- und Redaktionsfunktion übernimmt, doch dazu später mehr.
Denn zunächst führte uns Werner Wolff mit einem bebilderten historischen Exkurs durch die Jahrhunderte, angefangen mit früher Notation mittels Buchstaben im antiken Griechenland über mittelalterliche Neumen bis zu den ersten Notendrucken. Weit nach Gutenbergs Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern wurden diese frühen Druckbeispiele mit Holzschnitten gefertigt. „Es zieht sich durch die Geschichte des Notendrucks, dass er immer komplizierter war als der Textdruck und zwei bis drei Generationen hinterherhinkte. Und das ist bis heute so –wir benutzen zwar digitale Werkzeuge, aber die Methoden und Workflows sind analog. Wir haben hier tonnenweise Papier herumliegen“, schiebt Werner Wolff ein. Ebenso wie die im 16. Jahrhundert aufkommenden Versuche, Noten analog zum Bleisatz-Verfahren mit Metalltypen zu drucken, waren die Holzschnitte kaum kommerziell bedeutend. Eine andere Technik dominierte schließlich über 200 Jahre den Notendruck, trotz des großen Aufwands, den das Erstellen des Materials auch in diesem Verfahren bedeutete: Durch den Notenstich konnten, in Verbindung mit der Lithographie als Massendruckverfahren, große Auflagen entstehen. Verleger wie Peters oder Breitkopf beauftragten für den Stich Satzbetriebe wie Carl Gottlieb Röder, dessen Unternehmen in Leipzig zu seiner Blütezeit über 1000 Angestellte beschäftigte. Große Erfahrung erforderte neben dem eigentlichen Stechen in weiche Metallplatten besonders das Erstellen der Stichvorlage. „Händisch wurden die Manuskripte abgeschrieben, alle inhaltlichen Fragen geklärt und das Ganze so eingeteilt, dass ein Stecher sich nicht mehr über das Layout Gedanken machen musste“, erläutert Werner Wolff – und ist damit in der Beschreibung des historischen Berufsbildes bei dem Aspekt angekommen, der auch heute die zentrale Kompetenz seines Berufsstandes ausmacht.
Beauftragt von Verlagen müssen Werner Wolff und sein Team deren Layout- und Budgetvorstellungen einhalten und sich gleichzeitig mit teils eigenwilligen ästhetischen Vorstellungen der Komponistinnen und Komponisten bezüglich des Notenbildes auseinandersetzen, während das Berufsethos gebietet, sich mindestens ebenso für die Belange der Musizierenden in puncto Spielbarkeit zu verwenden. Schließlich soll nicht zu viel Zeit bei ohnehin knapp bemessenen und kostenintensiven Orchesterproben verloren gehen. Zielkonflikte zwischen sorgfältigem Arbeiten und fristgerechter Fertigstellung sind zudem bei Uraufführungen oft vorprogrammiert. Dieses komplizierte kommunikative Geflecht verschiedener Interessen ergibt den Stoff für Geschichten und Anekdoten, die man sich in der Branche gegenseitig erzählen könnte.
Wenn man denn mehr miteinander sprechen würde ... Denn laut Werner Wolff ist die Branche geprägt von Einzelkämpfern, die nicht viel voneinander wissen – Quereinsteiger seien aufgrund des nicht vorhandenen formalen Ausbildungsweges sowieso alle. Eine Firma der Größenordnung von Notengrafik Berlin, in der je nach Projekt Teams aus den angestellten Mitarbeitern und Freelancern beschäftigt sind, ist die Ausnahme „Wir haben ein Netzwerk von 25 bis 35 Leuten, die teils Spezialisten für besondere Probleme sind. Das Tolle in Berlin ist, dass man eben auch die in Sanskrit bewanderte indische Harfenistin oder den koreanischen Flötisten hier findet, wenn erforderlich.“ Bemühungen, die Berufsgruppe stärker zu vernetzen und zu professionalisieren, um gemeinsame Standards zu erarbeiten, werden von dem insgesamt zu kleinen Markt und den Interessen der Auftraggeber erschwert. Auch Anfragen an den Deutschen Musikrat, statistische Daten der Branche zu erfassen, wurden noch nicht berücksichtigt. Im Bereich der musikalischen Ausbildung sieht er ebenfalls Nachholbedarf: „Ich weiß nicht, warum in der Ausbildung von Komponisten, wenn überhaupt, Notation nur als Software-Schulung vorkommt.“, bemängelt er.
Zumindest wir als Team von Karsten Witt Musik Management wissen dagegen endlich viel besser, welche Produkte jahrelang in unserer unmittelbaren Nähe entstanden. Und da auch das Aufführungsmaterial für die Werke einiger von uns vertretener Komponisten bei Notengrafik Berlin erstellt wird – ein Beispiel ist Philippe Manourys monumentales Raumwerke-Triptychon für das Gürzenich-Orchester, dessen abschließender Teil 2019 zur Uraufführung kommt – arbeiten wir hin und wieder an völlig unterschiedlichen Enden auf das gleiche Ziel hin.
Nina Rohlfs, November 2018