Er spielt Bartók, Brahms und Prokofjew in den großen Konzertsälen
weltweit, er pflegt enge Beziehungen zu zeitgenössischen Komponisten wie
Bruno Mantovani und Marc Monnet, seine Aufnahme von Liszts Harmonies poetiques et religieuses wurde hoch gelobt – Dreh- und Angelpunkt der musikalischen Welt des Pianisten François-Frédéric Guy
jedoch ist Ludwig van Beethoven. In bildreicher Sprache beschreibt er
seine besondere Beziehung zu dessen Werken: „Man taucht in sie ein, als
gehe man auf eine Tiefseeexpedition, und entdeckt eine verborgene Welt,
die gleichzeitig vertraut und mysteriös erscheint.“
So gut wie alle Werke von Beethoven hat François-Frédéric Guy in großen
Konzertzyklen aufgenommen und auf CD eingespielt. So erschien etwa im
Herbst 2013 seine Gesamteinspielung der 32 Klaviersonaten beim
Label Zig Zag Territoires. Bis dahin war es ein langer Weg. In einer
Kleinstadt in der Normandie als Sohn eines klavierspielenden Vaters
aufgewachsen, erhielt der Hochbegabte schon im Alter von elf Jahren
Unterricht bei Dominique Merlet am Pariser Conservatoire. Nachdem er als
junger Pianist an einer Tournee teilgenommen hatte, auf der sechs
französische Pianisten seiner Generation den Zyklus der Beethovensonaten
zur Aufführung brachten, nahm er sich vor, bis zu seinem 40. Geburtstag
alle Sonaten gemeistert zu haben. Inzwischen ist er mit dem Zyklus, den
er 2008 erstmals beim Monaco Festival in zehn Konzerten über einen
Zeitraum von zwölf Tagen zur Aufführung brachte, regelmäßig zu erleben,
In der Saison 2014/15 beispielsweise in Rio de Janeiro und im
italienischen Pordenone.
Ebenso wie von den Sonaten hat er auch von den fünf Klavierkonzerten
Beethovens eine Gesamtaufnahme vorgelegt. Immer häufiger leitet der
Pianist, der sich zu Beginn seiner Karriere beinahe entschieden hätte,
doch Dirigent zu werden, das Orchester inzwischen selbst vom Klavier
aus. Für die Aufnahme bei Naïve stand allerdings sein enger Vertrauter
Philippe Jordan am Pult des Orchestre Philhamonique de Radio France.
„Wir fühlen uns wie Kammermusikpartner“, beschreibt er ihre Beziehung.
Tatsächliche Kammermusikpartner hat François-Frédéric Guy für die
nächste Stufe seines Projektes gefunden: Auf dem Weg zum gesamten Werk
Beethovens gewann er für seine Konzerte am Arsenal de Metz, das ihm als
Artist in Residence für mehrere Spielzeiten eine musikalische Heimat
bietet, den Geiger Tedi Papavrami und den Cellisten Xavier Phillips.
Somit ist François-Frédéric Guy nicht mehr weit davon entfernt,
buchstäblich alles, was Beethoven für Klavier geschrieben hat, in
Konzertzyklen aufgeführt zu haben. Wäre damit sein persönliches
Beethoven-Projekt abgeschlossen? „Nein“, winkt er ab, „mit Beethoven ist
man nie fertig.“ Auch in zehn Jahren will er noch im Ozean der
Beethovenschen Werke auf Expedition gehen; vor Langeweile fürchtet er
sich dabei nicht. Und abgesehen davon spielte er in den vergangenen
Monaten ja auch noch das Klavierkonzert Nr. 5 von Saint-Saëns in Zürich,
das zweite von Bartók in Warschau, Prométhée von Skrjabin in Monte Carlo, und womöglich bereitet er sich auch schon wieder auf die nächste Uraufführung vor.
Nina Rohlfs 03/2014