Eliahu Inbal feiert am 16. Februar 2021 seinen 85. Geburtstag. Wir gratulieren - und veröffentlichen erneut unsere erstmals 2016 erschienene dreiteilige Interviewserie über Leben und Wirken des Dirigenten.
Wohl kaum ein Dirigent kann heute auf mehr Erfahrung zurückblicken als Eliahu Inbal: Schon mit Mitte 20 avancierte er zum international gefragten Gastdirigenten, und in den folgenden Jahrzehnten prägte er in der Chefposition das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks Frankfurt, das Orchestra del Teatro la Fenice, das Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI, das Konzerthausorchester Berlin, die Tschechische Philharmonie und das Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra.
Dirigate bei diesen eng mit ihm verbundenen Orchestern sind heute fester Bestandteil seiner nach wie vor intensiven Konzerttätigkeit, und so konnten wir Eliahu Inbal einen Monat vor seinem Geburtstag in Berlin treffen, wo er drei Konzerte mit dem Konzerthausorchester leitete. Im ersten Teil unseres Interviews gibt er Auskunft über seine Kindheit und die Anfänge seiner musikalischen Karriere in Palästina und Israel.
Herr Inbal, am 16. Februar 2016 werden Sie 80 Jahre alt. Mir ist allerdings zu Ohren gekommen, dass Sie zwei Geburtstage haben. Wie kam es dazu?
Mein offizieller Geburtstag ist der 16. Februar. Eine Bratschistin an der Scala, die auch die Sterne deutete, wollte wissen, wann genau ich geboren wurde, um welche Uhrzeit. Ich habe meine Mutter gefragt, und die sagte: „Oh, das ist leicht, das war am Abend des Schabbat bei Sonnenuntergang.“ Ich habe eine Uhr, mit der ich feststellen kann, welcher Wochentag ein bestimmtes Datum ist. Die Uhr zeigte Sonntag. Da habe ich noch einmal meine Mutter angerufen und gesagt: „Ich bin am Sonntag geboren.“ Und sie sagte: „Nein, am Samstag Abend, aber nach jüdischer Tradition ist nach Sonnenuntergang schon der nächste Tag.“ Deshalb habe ich nun zwei Geburtstage: Der Kalendertag wäre eigentlich der 15., aber die Uhrzeit ist Sonnenuntergang. Mein Onkel, der ein großer Rabbiner war, sagte: „Das ist ein Zeichen, dass er ein spiritueller Mensch wird.“
Ich habe im Vorfeld dieses Gespräches einiges über Sie gelesen, aber ich habe nicht sehr viel über Ihre Herkunft, über Ihre Familie in Erfahrung gebracht.
Meine Eltern kamen aus dem Orient, meine Mutter aus Damaskus, also Syrien, und mein Vater aus Aden, damals britisches Mandat und heute Teil des Jemen. Mein Vater hat in der britischen Administration in Palästina gearbeitet. Ich habe dadurch auch etwas Kontakt zur britischen Kultur bekommen und besitze bis heute einen britischen Passport.
Stimmt es, dass auch Ihr Name eine besondere Geschichte hat?
Ja. Mein ursprünglicher Familienname war Josef. Und da Josef auch ein Vorname ist, gab es immer Verwirrung. Als ich mich definitiv entschieden habe, Dirigent zu werden, habe ich gedacht, ich brauche einen Familiennamen, der kein Vorname ist. Ich habe dann Inbal gewählt. Inbal hat eine Bedeutung: Das ist der Klöppel in der Glocke, und das passt gut zu einem Dirigenten. Ich bin der Klöppel, und das Orchester klingt, nicht ich.
Wie haben Sie Musik für sich entdeckt? War sie in Ihrer Familie von vornherein ein großes Thema?
Ja, absolut, allerdings liturgische Musik, in der Synagoge, im Chor, beim alleine Singen. Die ganze musikalische Seite kam daher. Als ich dann allerdings in der Schule war – und das war sehr viel früher als normal, ich war zwei Jahre jünger als alle anderen in der Klasse – da kam einmal ein Musiklehrer als Ersatz für einen anderen Lehrer. Er hat uns Noten beigebracht, und ich begann zu komponieren; ab da ging es zu weltlicher Musik über.
Wie sind Sie dann zur Violine gekommen?
Ich habe schon im Alter von etwa sieben Jahren mit Hilfe von einem meiner Onkel eine Art Gitarre oder Geige aus Sperrholz und Saiten gebastelt und begann zu spielen. Meine Schwester hat mich daraufhin zum Konservatorium gebracht, dort wurde mein Gehör geprüft und so weiter. Sie haben mir sofort ein Stipendium verschafft und mir auch eine Geige mitgegeben. So begann es.
Die 40er und 50er Jahre in Israel waren ja sowohl politisch als auch musikalisch eine ungeheuer dichte Zeit – allein, wenn man an die Gründungsgeschichte des Israel Philharmonic Orchestra denkt.
Bronislaw Huberman, der große Geiger, wusste im Voraus, was kommen wird. Er ist schon 1932/33 in die großen Orchester in Mitteleuropa gegangen und hat den jüdischen Musikern gesagt, ihr habt keine Zukunft hier, ihr müsst nach Israel. Und so kam es, dass das Palestine Symphony Orchestra, später umbenannt in Israel Philharmonic Orchestra, mit den besten Talenten aus Mitteleuropa gegründet wurde, in meinem Geburtsjahr 1936. Auch die Mitglieder des Radioorchesters von Jerusalem waren, so kann man es heute nennen, Flüchtlinge – Musiker, die vor der Naziherrschaft flohen.
Und die ihre ganze musikalische Tradition von Europa an einen anderen Ort verpflanzt haben.
So ist es. Wie gesagt, ich habe orientalische Eltern, und man mag sich wundern: Wieso habe ich diesen Draht zu Bruckner, zu Mahler? Tatsächlich bin ich aus musikalischem Blickwinkel inmitten der absoluten Fülle mitteleuropäischer Tradition aufgewachsen! Alle meine Lehrer, sei es für Harmonie, Kontrapunkt, Komposition, alle kamen aus Deutschland. Mein Violinlehrer Lorand Fenyves, ein ganz großer Geigenlehrer und Konzertmeister der Palestine Symphony, kam aus Ungarn. Musikanalyse lernte ich von dem großen Komponisten Josef Tal, Kontrapunkt bei Abel Ehrlich. Schon in der Grundschule gab es viele Lehrer, die aus Deutschland kamen, wie mein Englischlehrer Blumenthal, eine ganz große Persönlichkeit. Der hat uns nicht nur Shakespeare beigebracht, sondern die Prinzipien des Lebens.
Sie sagen, das Orientalische ist Ihre familiäre Herkunft. Spielt das denn auch musikalisch eine Rolle bei Ihnen?
Sehr! Das hat mir extreme Sensibilität für Farbe, für Intonation gegeben, und das habe ich natürlich mitgenommen. Wir hatten allerdings auch damals schon dieses wunderschöne Grammophon, das war ein richtiges Möbelstück und es funktionierte noch rein mechanisch, mit einer Feder, die man aufziehen musste. Damit hatte ich meine frühen großen Musikerlebnisse, und mehr noch mit dem Radio. Ich habe jeden Tag, bevor ich zur Schule ging, Kol Israel, den Jerusalemer Sender, gehört. Ich war hingezogen zu dieser westlichen symphonischen Musik, und sie wurde zu meiner Musik.
Der zweite Teil unseres Interviews erzählt von Eliahu Inbals Lehrjahren als junger Dirigent in Israel und Europa.
Nina Rohlfs 01/2016