Steven Sloane ist seit Beginn der Saison 2020/21 neuer Music Director des Jerusalem Symphony Orchestra. Schon ab Oktober 2019 leitete er als Music Director Designate drei Sinfoniekonzerte des Orchesters leiten und mit der künstlerischen Planung beginnen. Karsten Witt blickte Anfang 2019 anlässlich der neuen Herausforderung mit dem Dirigenten ein wenig in die Zukunft – und in die Vergangenheit.
„It feels like coming nach Hause.” Nach über 30 Jahren in Deutschland wechselt Steven Sloane immer noch, häufig im selben Satz, seemlessly zwischen Deutsch und Englisch. Der amerikanische Akzent ist bei dem in Los Angeles aufgewachsenen Dirigenten in beiden Sprachen unüberhörbar. In letzter Zeit beginnt er die Konservation auch immer mal wieder auf Hebräisch, bis ich ihn daran erinnere, dass ich diese Sprache – auch nach 15-jähriger Zusammenarbeit – strangely immer noch nicht verstehe.
Wenn er jetzt nach Hause sagt, meint er allerdings nicht Kalifornien, sondern das Land, in das er mit 21, nach Abschluss seines Studiums, emigriert war und in dem er danach zehn Jahre lebte: Israel. Damals nahm er intensiv am Musikleben des Landes teil, half bei dessen Weiterentwicklung, etwa indem er den Chor des Konservatoriums in Tel Aviv aufbaute. Schon in dieser Zeit dirigierte er alle israelischen Orchester – mit Ausnahme des Israel Philharmonic Orchestra, das ihn erst später einlud. Besonders häufig war er beim Jerusalem Symphony Orchestra zu Gast, dessen Chefdirigent damals Gary Bertini war. 1985 hätte er resident conductor der neu gegründeten Israeli Opera werden sollen, aber in diesem Jahr wechselte er stattdessen gemeinsam mit Gary Bertini an die Oper Frankfurt und trat dort seine erste feste Position als 1. Kapellmeister an.
Noch ist Steven Sloane vor allem in Bochum zuhause, wo er seit 1994 als Generalmusikdirektor fungiert. Seine Verdienste um die Musik in der Theater-Stadt Bochum und im gesamten Ruhrgebiet sind unbestritten; vielfach ist er für sie ausgezeichnet worden. Mit seiner phantasievollen und in jeder Richtung offenen Programmgestaltung hat er ständig neue Publika gewonnen. Die gefeierte Produktion von Zimmermanns Soldaten bei der RuhrTriennale, die die Bochumer Symphoniker sogar in die New Yorker Armory Hall brachte, ist ebenso wenig vergessen wie der Day of Song im Rahmen des von ihm verantworteten Programms von Ruhr2010, wo auf Plätzen in der gesamten Kulturhauptstadt gesungen wurde und er allein 60.000 Sänger auf Schalke dirigierte.
Den größten Erfolg feierte er 2016 mit der Eröffnung des neuen Anneliese Brost Musikforums um die zum Foyer umgebaute St.-Marien-Kirche in unmittelbarer Nähe des Bermuda-Dreieck genannten Entertainment-Bezirks von Bochum. In ihm haben die BoSy und alle Musikfreunde, darunter auch die Jugendmusikschule der Stadt, eine neue Heimat gefunden. Mit wieviel Geschick, Hartnäckigkeit, Überredungskunst und Durchsetzungswillen Steven Sloane dieses vielfach totgesagte Projekt in einer bankrotten Stadt geduldig zum gefeierten Erfolg führte, wurde auch überregional und international bewundernd anerkannt.
Zwei Jahre nach der Eröffnung des Konzertsaals und seiner Ernennung zum Intendanten erklärte Steven Sloane 2018, sein Amt drei Jahre später an einen Nachfolger übergeben zu wollen. 2019 wird das 100jährige Bestehen des Orchesters und sein eigenes 25jähriges GMD-Jubiläum gefeiert. „Dann wird es time for a change – fürs Orchester und auch für mich.“ Dabei hat er schon seit Jahren einen zweiten Wohnsitz in Berlin, wo er an der Universität der Künste die International Conducting Academy zur intensiven Förderung ausgewählter junger Dirigenten aufgebaut hat. Und seit der laufenden Saison wirkt er zusätzlich als Principal Guest Conductor and Artistic Advisor am Opernhaus Malmö.
In einem Beruf, der durch den jetset und schnelle Wechsel von einem Orchester zum anderen geprägt ist, stellt Steven Sloane eine Ausnahme dar. Er liebt die kontinuierliche Arbeit mit Freunden und lässt trotzdem keine Routine aufkommen. „Let’s look for something new“ – so könnte sein Wahlspruch lauten. Das gilt für sein Engagement für wenig bekannte Komponisten ebenso wie für junge Künstler, für neue Inszenierungen und Konzertformen ebenso wie für die Entwicklung der Institution Orchester und seiner Räume. Wenn das Jerusalem Symphony Orchestra ihn jetzt zu seinem neuen Music Director ab 2020 ernannt hat, so kann sich das Orchester auf bewegte Zeiten einstellen. Eine Andeutung gibt Steven Sloane schon in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme: „Wir werden daran arbeiten, neue Kooperationen mit anderen Institutionen einzugehen, um an neuen Orten zu spielen und neue Zielgruppen allen Alters zu erschließen, auch solche, die bisher kaum in Kontakt mit klassischer symphonischer Musik standen.“ Ihm geht es um ein Projekt für die ganze Stadt und alle Bevölkerungskreise. „Our future is open!“
Karsten Witt, Januar 2019