8. Dezember 2018 – die erste Uraufführung an der Wiener Staatsoper seit acht Jahren erzeugt große mediale Aufmerksamkeit: Der österreichische Komponist Johannes Maria Staud (*1974) und der Dresdener Dichter Durs Grünbein (*1962) verfassten eine Oper, die durchaus als politische Botschaft und Warnung in einem Europa zu lesen ist, das immer mehr nach rechts rückt. Auf der Suche „nach einem heutigen Stoff, der die Unsicherheit der Gesellschaft in sich trägt“, wie der Librettist ausführt, ließ sich das erprobte Duo, das bereits zwei Opern und ein Monodram gemeinsam entwickelt hat, für Die Weiden von den Autoren Joseph Conrad, H. P. Lovecraft, Algernon Blackwood und T. S. Eliot inspirieren.
In einem parallelen Arbeitsprozess, der von einem ständigen Austausch geprägt war, entstanden Libretto und Musik. Die metaphernreiche Geschichte ist rund um eine Flussreise eines jungen Paares gebaut. Peter (Tomasz Konieczny), ein Künstler, zeigt der Philosophin Lea (Rachel Frenkel) seine Heimat. Für sie ist die Flussexpedition auch eine Spurensuche ihrer Familiengeschichte, da ihre Vorfahren von dort vertrieben worden waren. Schwelgen die beiden anfangs im Liebesglück, wird dies mehr und mehr gestört durch die Landschaft mit immer bedrohlicheren Formen und Ausprägungen. Alptraumhafte Begegnungen kippen die Geschichte ins Surreale, Halluzinatorische. Es tauchen Karpfenwesen auf, ehemals Menschen, die nun vielmehr Teil der Masse sind, der eigenen Meinung und Entscheidungskraft beraubt. In der Inszenierung von Andrea Moses „verkarpfen“ die Menschen immer mehr, eindrückliche Gesichtsmasken, die gleichermaßen faszinieren wie abstoßen, führen dies drastisch vor Augen.
Diese Verwandlung findet auch in der Musik ihre Entsprechung, die Singstimmen werden mit Wasserklängen eingefärbt. Dafür setzt Staud gekonnt Mittel aus der Live-Elektronik ein: „Das sind Phänomene wie Granularsynthese, Faltung oder Resonanzfilterung. Die Stimmen bekommen einen kleinen Rattenschwanz, etwas Geräuschhaftes, das sich elektronisch fortspinnt.“ Der große Strom, der durch Europa fließt, es teilt und verbindet, ist Basis für die schillernden Klangfarben und zentrales Motiv von Stauds Oper. „Es geht darum, Wasserklänge zu generieren, ohne mit Wasseraufnahmen zu arbeiten“, führt der Komponist aus. In der Oper in sechs Bildern, vier Passagen, einem Prolog, einem Vorspiel und einem Zwischenspiel ist den Sängerinnen und Sänger eine Bandbreite von allen Arten des Singens vorgeschrieben, und auch ein Schauspieler als Komponist und eine Schauspielerin als Fernsehreporterin treiben die Szenerie voran. Die vier instrumentalen Passagen basieren auf jeweils einem Solo-Instrument, auf dem die Live-Elektronik aufbaut. Die Stimmen von Tuba, Kontrabassklarinette, Kontrabass und Fagott gehen im Orchesterklang auf, der mit verschiedensten Wasser-Assoziationen spielt. Verdeutlicht wurde dies durch die Videobilder von bedrohlich gewittrigen Flusslandschaften und sich im Wind wiegenden Weidenzweigen.
Die überaus große Besetzung mit Chor, Orchester mit einem gewaltigen Schlagwerk-Apparat, Zuspielungen und Live-Elektronik, 18 Sing- und Sprechrollen, darunter viele kleine, erzeugt ein abwechslungsreiches Panoptikum. Kraftvolle Orchesterpassagen wechseln mit gesprochenen Passagen, Anleihen an die Unterhaltungsmusik mit Tanz-Combo auf der Bühne mit intimen elektronischen Klängen, in denen man die Stechmücken in der Auenlandschaft zu hören glaubt. In der Auseinandersetzung mit dem recht unterschiedlichen musikalischen Material komponierte Johannes Maria Staud vorab 2017 das Orchesterstück Stromab. Die Vielgestaltigkeit der Musik findet sich auch in den mehrfachen Ebenen des Librettos wieder: Neben der Liebesgeschichte, der Konfrontation mit der eigenen familiären Vergangenheit von Lea, die in ein imaginiertes Aufeinandertreffen mit den Opfern der Todesmärsche der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter 1945 mündet und einen großen Schritt im Zuge ihrer Identitätsfindung bewirkt, schwingt immer die allgemein gegenwärtige Bedrohung auf die Zivilgesellschaft durch das Dunkle, das Populistische, durch demagogische Verführer die Masse Manipulierende mit.
Nicht zuletzt durch die Figur des Komponisten (Udo Samel), bezeichnenderweise etwas ironisch Krachmeyer genannt, schafft Staud die Verbindung zwischen Plot und Musik: „Der Komponist kann nicht singen, stattdessen spricht er von der Heimat und ihren Klängen, vom kulturell Reinen – Dinge, die für mich persönlich nicht funktionieren, über die ich aber gern mit ihm diskutieren würde. Er ist also eine mir unsympathische, aber gleichzeitig äußerst verführerische, manipulative Figur.“
Dirigent Ingo Metzmacher gelingt es mit dem Orchester der Wiener Staatsoper, aus dem Spannungsfeld von „lyrischer Innenschau und dramatischer Zuspitzung“ (Staud) eine abwechslungsreiche und vielschichtige Aufführung an dem traditionsreichen Haus zu machen.
Marie-Therese Rudolph (für unser Print-Magazin, erstmals publiziert im Frühjahr 2019)
weitere Aufführungstermine an der Wiener Staatsoper:7., 9. und 12.11. 2019