NMT: Frau Fuchs, durch die Corona-Pandemie hat sich für Künstler und Agenturen vieles verändert. Wie sieht denn gerade Ihr persönlicher Berufsalltag aus?
Maike Fuchs: Ich bin es ja sonst gewohnt, fast jedes Wochenende irgendwo anders unterwegs zu sein, um mir Opernaufführungen oder Konzerte meiner Künstler anzuhören, bei Konferenzen zu sein. Das fällt natürlich jetzt alles weg. Schon seit Mitte letzten Jahres war es mir nicht mehr möglich, in Berlin im Homeoffice zu arbeiten, weil unsere Hausfassade saniert wurde – das Gebäude war komplett eingerüstet, es gab kein Tageslicht und es war relativ laut. So bin ich mit Sack und Pack aus Berlin wieder nach Hemmingen umgesiedelt und mache dort meine tägliche Arbeit aus dem elterlichen Wohnzimmer. Gerade finde ich es ganz angenehm, in dieser ländlichen Atmosphäre zu sein, wo das Leben etwas ruhiger ist und man sich auf bestimmte Dinge besser konzentrieren kann. Die große Hoffnung ist aber natürlich, dass sich die Lage in nicht allzu langer Zeit bald mal wieder ein bisschen normalisiert.
Wie empfinden Sie als Künstleragentin die derzeitige Situation – für sich selbst und für die Künstler, die Sie vertreten?
Wir sind ja schon immer die Leute gewesen, die lösungsorientiert arbeiten müssen, die immer das Unmögliche möglich machen: Wenn man einen englischsprachigen Babysitter in Peking brauchte, und zwar innerhalb von zwei Stunden, dann hat man eben erst mal bei der Agentur angerufen – vielleicht haben die ja eine Idee. Das ist ja aber auch das, was uns jetzt auch so unheimlich schwerfällt, weil wir so darauf geeicht sind, jedes Konzert retten zu wollen – im Moment geht das aber nicht. Wir strecken uns und machen uns lang und kommen trotzdem oft genug nicht an den Ball...
Der Lockdown hat im Kulturbetrieb viele Einschränkungen mit sich gebracht, die freischaffenden Künstler sind dabei besonders betroffen. Wie beobachten Sie das in Ihrem Umfeld?
Was uns besonders nahe geht ist, dass es Künstler gibt, für die das gerade eine ganz schwierige finanzielle Situation ist. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Wir vertreten einen Dirigenten, der normalerweise berufsbedingt auf allen fünf Kontinenten unterwegs ist. Es gibt zwei Kinder im Kita-Alter, weshalb die Frau eben nicht arbeitet, denn irgendwer muss ja vor Ort sein. Und da fehlt eben seit einem Jahr größtenteils das Einkommen. In der „Pause vom Lockdown“ – August bis Oktober 2020 – hatten alle Künstler bei uns etwas zu tun. Da ist dann auch wieder etwas aufs Konto gekommen. Aber die Schwierigkeit ist ja, dass selbständige Künstler gar nicht die Möglichkeiten haben wie Festangestellte, beispielsweise in Kurzarbeit zu gehen. Hier gibt es ja – ich weiß gar nicht, ob das allgemein bekannt ist – selbständige Künstler, die komplett aus der Novemberhilfe herausfallen. Nehmen wir mal den Fall eines Dirigenten, der in Deutschland v.a. Opernengagements übernimmt und im Ausland Sinfoniekonzerte dirigiert. Das heißt: Weil die Sinfoniekonzerte im Ausland stattfinden, gibt es dafür keine Hilfen, da das ja keine umsatzsteuerpflichtigen Einnahmen sind. Und für die deutschen Opernengagements ist er ja beim Opernhaus kurzzeitig angestellt, sprich: Auch die zählen hier gar nicht mit rein. Und wenn sich nun jemand nur auf diese Art von Engagements konzentriert, dann fällt er einfach komplett aus dem Raster. Das macht uns schon sehr zu schaffen, wenn wir sehen, wie problematisch das für viele Künstler ist. Natürlich setzen wir uns über Verbände wie die IAMA oder den BDKV für eine Verbesserung der Situation freiberuflicher Künstler ein, aber die Politik ist bisher noch nicht so recht darauf angesprungen.
Viele Musiker können ihren Beruf momentan kaum oder gar nicht ausüben. Was bedeutet das neben all den existenziellen Fragen?
Man muss ja auch sehen, dass sich die meisten Künstler aus einem gewissen Sendungsbewusstsein heraus für ihren Beruf entschieden haben. Diese Künstler vermissen eben auch ihr Publikum und die Freude, vor Menschen zu spielen. Diese Kommunikation mit dem Publikum kann ja auch kein Stream ersetzen. Das ist schon das, was langsam alle mürbe macht.
Und was man auch nicht vergessen darf, und das gilt auch für Orchestermusiker: Man braucht ja immer auch ein Ziel, auf das man hinprobt. Und wenn man nun in den Kalender schaut und feststellt: Wahrscheinlich ist das nächste Konzert im Oktober 2023 (das ist natürlich ein bisschen ironisch gemeint), wofür soll man dann üben? Die sehr Selbstdisziplinierten ziehen das dann einfach durch und haben so ihre Tagesstruktur... Aber das macht es dann doch schwierig, das sind dann die psychologischen Aspekte, die man hier beachten muss.
Wie wirkt sich die Corona-Krise aus Ihrer Sicht denn auf Musiker aus, die gerade erst am Anfang ihrer Karriere stehen?
Natürlich möchte jeder Veranstalter Künstler auch einmal live erleben, man schaut auf Pressestimmen und andere Referenzen... Also auf all die Dinge, die wir dazu nutzen, um einen Veranstalter für einen jungen Künstler zu interessieren, doch die fallen eben gerade alle aus. Da hoffe ich, dass man nicht nur auf bekannte, etablierte Künstler setzt, sondern dass man auch jungen Musikern eine Chance gibt. Auch aus den Musikhochschulen höre ich momentan, dass dort gerade auch die jungen Künstler verzweifelt sind, weil sie bisher immer eine recht klare Vorstellung davon hatten, in welche Richtung es gehen wird – und jetzt weiß man eben nicht, wann es wieder losgeht und ob es dann wieder so sein wird wie vorher, dass man eben auch seinen Lebensunterhalt als freischaffender Musiker verdienen kann. Das alles wird uns etwas später noch Kopfschmerzen bereiten.
Wenn Sie einen Blick in die nahe Zukunft des Kulturbetriebes werfen: Bereitet Ihnen das auch Kopfschmerzen?
Ich hoffe schon sehr, dass uns dieser „Corona-Schaden“ nicht so lange nachhängt. Da befürchte ich, dass es bei der Finanzierung der Kultur auch Streichungen geben wird. Wir sehen ja jetzt schon: Dort, wo bei größtenteils privat-finanzierten Festivals große Sponsoren beteiligt sind, wird das ganz eng. Das ist wirklich eine meiner großen Sorgen, da uns in der Kulturbranche ja schon das Gefühl gegeben wird, dass das sehr in der Priorität nach unten gerutscht ist. Drohen dann womöglich Haushaltssperren, Orchester-Fusionen oder ähnliches? Da hoffe ich einfach, dass wir wieder gut aus der Krise herauskommen.
Sie vertreten internationale Künstler. Viele Ihrer Tätigkeiten beruhen außerdem darauf, dass man bisher verhältnismäßig problemlos von A nach B reisen konnte. Was hat sich durch Corona für Sie verändert?
Gerade brüten wir täglich über den neuesten Quarantäne- und Ausnahmeregelungen und prüfen Kalender, ob die geforderte Quarantäne vielleicht doch zu schaffen ist. Ich gebe Ihnen mal ein paar Beispiele: In den asiatischen Ländern ist es ja schon seit letztem Sommer so, dass man dann erst einmal für zwei Wochen in Quarantäne muss – und die fällt dann sehr unterschiedlich aus. Das kann sehr luxuriös sein (was es ja aber nicht unbedingt besser macht), aber gerade für Korea habe ich dann schon überlegt, ob man das einem Künstler für ein, zwei Konzerte zumuten kann. Wir hatten das Thema ja eben schon: Seit März ist kein Geld aufs Konto gekommen, da nimmt man dann eben auch in Kauf, für zwei Wochen in einer Art Jugendherbergszimmer zu sitzen. Drei Mal am Tag klopft es, dann muss man eine Minute warten und dann steht dort Essen – ob man irgendwelche Nahrungsunverträglichkeiten hat, darauf wird natürlich keine Rücksicht genommen.
Einer der Pianisten, die wir vertreten, hatte z.B. in Hongkong die kompletten zwei Wochen „abgesessen“, und es hieß dann: „Ja, hurra, die Proben können beginnen!“ Doch dann kam die Nachricht: Im Saal, in dem das Konzert stattfinden sollte, war bei der Veranstaltung vorher jemand positiv auf Corona getestet worden, und der ganze Konzertsaal wurde desinfiziert und für zwei Wochen gesperrt. Der Pianist hatte also zwei Wochen in Quarantäne gesessen und musste dann unverrichteter Dinge wieder nach Hause fliegen...
Natürlich gibt es aber auch viele positive Beispiele: Für die südkoreanische Dirigentin Shiyeon Sung konnten wir trotz geschlossener Botschaften unter großem organisatorischen Aufwand ein Visum für die USA organisieren – sie war dann in Seattle der einzige internationale Gastkünstler der kompletten Saison. Dass das geklappt hat, war eigentlich mehr als unwahrscheinlich, aber meine Kollegin und ich haben da nicht locker gelassen...
Die Corona-Bestimmungen werden regelmäßig geändert, außerdem unterscheiden sie sich von Land zu Land – wie gehen Sie damit um?
Was es im Moment natürlich total schwierig macht, ist diese mangelnde Planungssicherheit. Wenn man jetzt beispielsweise einen Künstler aus Asien hat, der für ein Festival in Deutschland Mitte März gebucht ist, aber es ist momentan weder klar, dass das Festival stattfindet, noch, dass es nicht stattfindet, dann weiß ich nicht, wie ich die Flüge buchen soll. Da kommt dann irgendwann der Punkt, wo das Nichtstun die Entscheidung bringt: Wenn wir nicht gebucht haben, kommt der Künstler nicht hin, dann findet kein Konzert statt... Es wäre schon sehr hilfreich, hätte man einen Horizont, verlässliche Bestimmungen für die Zeit nach Ostern – aber das liegt einfach in der Natur dieser Pandemie, dass das eben keiner mit Gewissheit sagen kann. Das macht es für uns schon sehr kompliziert.
Sie vertreten mit Ihrer Agentur unter anderem die Bratscherin Tabea Zimmermann, die ja bei dem Sonderkonzert der Niedersächsischen Musiktage im Oktober 2020 beteiligt war, und den Cellisten Maximilian Hornung, der bei den diesjährigen Niedersächsischen Musiktagen zu Gast sein wird. Wie ist deren momentane Situation in Corona-Zeiten?
Das ist ganz interessant, weil gerade diese beiden Künstler recht kontinuierlich gearbeitet haben. Tabea Zimmermann ist ja gerade Artist in Residence bei den Berliner Philharmonikern und hatte eben das Glück, dass gerade der Saisonauftakt noch mit Publikum stattfinden konnte. Und im Moment bin ich recht optimistisch, dass von den Konzerten, die für den weiteren Verlauf geplant sind, doch auch einige stattfinden können. Das aktuelle Projekt von Tabea Zimmermann ist ein Bratschenkonzert von York Höller, das aus Amsterdam gestreamt bzw. per Radio gesendet wird.
Und Maximilian Hornung hat nun gerade drei Streams „abgedreht“, die nun alle nacheinander zu sehen sein werden. Da sind wir schon auch wahnsinnig dankbar, dass es diese Möglichkeit für Künstler gibt, auch wenn Konzerte vor Publikum natürlich etwas ganz Anderes und viel schöner sind. Bei Max Hornung kann man sich unter anderem auf ein Dvorak-Cellokonzert freuen, das er mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz eingespielt hat, dann ein Kammerorchesterkonzert mit der Bayerischen Kammerphilharmonie, und mit Herbert Schuch hat er jetzt gerade einen Sonaten-Abend aufgenommen.
Worauf freuen sie sich am meisten, wenn die Pandemie etwas eingedämmt ist und erste Lockerungen greifen?
Tatsächlich auf die Livekonzerte, denn dafür machen wir das Ganze ja. Agenten hängt ja immer nach, man wäre so auf das Geld fixiert – ich kann nur sagen: Wenn man auf Geld fixiert ist, sollte man auf jeden Fall etwas Anderes tun (lacht). Wir machen das ja vor allem aus Liebe zur Sache und weil wir das Gefühl haben, hier können wir doch etwas bewegen. Deshalb zehrt ja momentan dieses Gefühl der Ohnmacht besonders an uns. Und da freue ich mich einfach auch wahnsinnig darauf zu sehen, wie das Publikum auf „meine“ Künstler reagiert. Ich arbeite ja teilweise schon seit Gründung von kwmm vor 17 Jahren für einzelne Künstler und dementsprechend eng ist das Verhältnis. Und dann einen dieser Künstler, den ich so gut kenne, auf der Bühne zu erleben mit diesen phantastischen Leistungen, das ist schon wirklich sehr besonders.
Wir veröffentlichen das Interview mit Kirsten Karg, Leitung der Festivalkommunikation, mit freundlicher Genehmigung der Niedersächsischen Musiktage.
März 2021