Mit konzertanten Aufführungen von Massenets Werther ist der argentinische Dirigent im August 2015 am Pult des Mozarteumorchesters erstmals bei den Salzburger Festspielen zu erleben. Im Vorfeld gab Alejo Pérez im Interview Auskunft über das Zusammenspiel von Regisseuren und Dirigenten bei Opernproduktionen, über seine Liebe zu Sprache und Literatur und über magische Momente auf der Bühne.
Herr Pérez, es ist bekannt, dass Sie ein großer Mozart-Fan sind. Bei Ihrem Debüt in Salzburg dirigieren Sie nun leider nur Massenet...
AP: Nicht leider (lacht). Es stimmt, ich liebe Mozart von ganzem Herzen, und die Einladung aus Salzburg hat mich freudig überrascht. Aber im französischen Repertoire fühle ich mich auch sehr zu Hause, deshalb mache ich nun mit dem Mozarteumorchester gern den Werther.
Ist es richtig, dass die Verbindung zu den Salzburger Festspielen über deren ehemaligen Intendanten Gérard Mortier zustande kam?
Das kann ich meinerseits nur vermuten. Gérard war immer ein äußerst eleganter Mensch, und er hat über solche Empfehlungen von seiner Seite nie gesprochen. Ich kann mir allerdings gut vorstellen, dass es so war. Ich habe Gérard sehr gemocht, und er war mir gegenüber immer sehr großzügig.
Seit der Saison 2010/11 dirigieren Sie regelmäßig am Teatro Real in Madrid, und diese Zusammenarbeit wies während der Intendanz von Gérard Mortier dort weit über ein normales Gastengagement hinaus.
Das war ein System, das Gérard Mortier gerne nutzte: Es gab eine starke Gruppe von vier oder fünf Stammdirigenten, mit denen er seine Saisons geplant hat. Dabei handelte es sich nicht um Spezialisten für bestimmte Epochen und Stilrichtungen, sondern er hat immer wieder nach Leuten gesucht, die in seinen Augen alle relevanten Bereiche beherrschten. Für diese enge Gruppe von Künstlern war er dann eine wirkliche Vertrauensperson, äußerst kollegial und respektvoll. Die Zusammenarbeit war sehr kontinuierlich, wir haben im Vorfeld drei oder vier Saisons geplant. Ich kam bis zu vier Mal im Jahr an das Theater und war auch bei Orchestervorspielen Teil der Jury. Dadurch ergab sich eine feste Beziehung mit dem Orchester, mit dem Chor, mit allen im Haus. Für mich war das eine ganz besondere Periode.
Nach Gérard Mortiers Tod im Jahr 2014 riss die Verbindung nach Madrid jedoch nicht ab.
Nein, ich habe dort inzwischen auch Projekte dirigiert, die nicht mehr von Mortier geplant waren.
Als musikalischer Leiter des Teatro Argentino in La Plata, wo Sie von 2009 bis 2012 künstlerisch die Fäden in der Hand hatten und großes Opern- und Konzertrepertoire dirigierten, konnten Sie die Inszenierungen hautnah begleiten, in Madrid in gewissem Maße auch. Kann man dagegen als normaler Gastdirigent überhaupt so nah an der Inszenierung sein?
Nur, wenn man sehr früh im Voraus mit dem Regisseur in Kontakt ist. Für mich ist es ideal, ihn schon zu treffen, sobald er anfängt, seine Konzeption zu erarbeiten – falls er dafür offen ist. Dann ganz am Anfang der szenischen Proben, und natürlich später so oft es geht. Auf jeden Fall finde ich es sehr wichtig, nicht erst ganz am Ende dabei zu sein, wie es leider im Opernbetrieb häufig der Fall ist.
Informieren Sie sich dabei am Anfang der Inszenierung nur über das Konzept des Regisseurs oder geben Sie selbst Input?
Das ist immer wieder anders. Das Spannende ist, dass die musikalische Seite das Geschehen trägt; vieles über die Psychologie der Figuren ist in der Musik schon erkennbar. Schwierig ist es, wenn sehr viel mit gegensätzlichen Bedeutungen inszeniert wird, der Regisseur also verlangt, dass etwas anderes gemeint ist als die Worte, die der Sänger singt. Manchmal ist dieses Andere in der Musik einfach nicht da, und das kann zu Konflikten führen. Ich gebe natürlich mein Bestes, dass die Produktion als Einheit gut funktioniert, nicht nur von der musikalischen Seite her. Insofern mische ich mich schon ein – mit Respekt, aber vor allem mit Respekt vor dem Werk.
Neben den Regisseuren, die sich über eine solche Teamarbeit freuen, gibt es sicherlich solche, die sich nicht gern reinreden lassen wollen...
Ich finde, man kann alles sagen, nur nicht irgendwie. Solange mein Gegenüber versteht, dass ich das Beste für das Werk suche und nicht einfach für mich, ist es kein Problem. Aber das ist natürlich ganz unterschiedlich, und ich muss zugeben: Es gibt Konflikte zwischen Regisseuren und Dirigenten, das ist sogar typisch. Man muss dabei allerdings auch die Problematik der Regisseure verstehen: Sie können ja während des Geschehens am Abend nichts mehr ändern oder beeinflussen. Alles liegt dann in der Hand der Künstler auf der Bühne, des Dirigenten im Orchestergraben, und er kann nur beobachten. Das ist eine schwere Rolle.
Zufällig läuft, während Sie in Salzburg proben, dort auch Peter Konwitschnys Inszenierung von Rihms Oper Die Eroberung von Mexiko, deren Dirigat Sie dann nächstes Jahr in Köln übernehmen werden.
Ich habe das Stück schon in einer anderen Inszenierung am Teatro Real gemacht, und es ist sehr nützlich, dass ich mir die Produktion nun in Salzburg anschauen und mich erkundigen kann: Wie wurde dieses oder jenes Problem gelöst? Es gibt nämlich wirklich viele Probleme in dem Stück, für die es nicht unbedingt nur eine einzige Lösungsmöglichkeit gibt.
Davor steht noch ein anderes großes Werk an: Im Dezember dirigieren Sie in Ihrer Heimat Argentinien, am Teatro Colón, den Parsifal.
Ursprünglich war der Titel in der Inszenierung von Katharina Wagner geplant. Zwischenzeitlich wechselte die Theaterleitung, und der neue Intendant hat sich für eine andere Inszenierung entschieden. Mit Marcelo Lombardero, der nun den Parsifal inszenieren wird, habe ich schon sehr viele Opern gemacht. Für mich ist es natürlich eine spannende Geschichte, im Colón den Parsifal zu dirigieren.
Neben den vielen Operndirigaten standen Sie in den letzten Jahren bei Orchesterkonzerten mit einer Reihe bedeutender Solisten auf der Bühne.
Es gab Zusammenarbeiten mit Künstlern, die mich sehr geprägt haben, auch wenn einige davon nur einmalig waren. Das Zusammentreffen mit Martha Argerich war ein ganz besonders Erlebnis, auch mit Mischa Maisky. Für mich waren das Begegnungen mit enormen Musikern, mit einer riesigen Aussagekraft beim Musizieren, dabei auch menschlich sehr warmen Personen.
Sicherlich ist es erholsam, sich im Konzert ganz auf die Musik konzentrieren zu können, ohne das bei der Oper notwendige kommunikative Drumherum?
Natürlich. Ich liebe beides. Wobei man bei der Oper eben auch richtige Magie erleben kann. Manchmal klappt es mit der Regie, manchmal weniger – aber zusammen mit den Sängern und den Musikern genieße ich auf jeden Fall dieses Gefühl von ‚heute Abend wird es unbedingt anders’. Manchmal stehen die Sterne einfach alle in einer Reihe, und dann passiert es halt: Dieses einander Zuhören und dann auf jeden Vorschlag Eingehen, als wäre es Kammermusik, bei einer vierstündigen Oper. Es gehört eine gewisse Freiheit dazu, man atmet jeden Abend anders, und es ist spannend, diese Nuancen, diese Bereitschaften von den vielen Künstlern, die vor Dir auf der Bühne stehen, zu spüren und darauf zu reagieren. Das macht den Beruf aufregend.
Mit den Musikern und Sängern können Sie meistens in deren Muttersprache kommunizieren – Sie sprechen neben Spanisch ausgezeichnet Italienisch, Französisch, Englisch und Deutsch und Sie lernen Russisch. Tun Sie das extra für die Probenarbeit?
Das mache ich aus Liebe zur Sprache, zur Literatur. Ich finde, man wird dadurch reicher, man gewinnt an Nuancen, an Subtilitäten. Schon als Jugendlicher habe ich sehr viel gelesen, und es war für mich ein Traum, immer wieder in Originalsprachen zu lesen. Wenn mir das nun bei der Arbeit zugute kommt, ist das natürlich sehr willkommen. Ich gebe mir wirklich Mühe, mithilfe der Sprache den Musikern so nahe zu kommen und so natürlich rüberzukommen wie möglich.
... und in Bezug auf das Opernrepertoire sind diese Sprachkenntnisse sicherlich auch sehr nützlich. Gibt es momentan besondere Wünsche oder Schwerpunkte in Bezug auf neues Repertoire, das Sie in nächster Zeit dirigieren möchten?
Repertoiremäßig habe ich ja bisher keine Front unbesucht gelassen. Ich möchte auch weiter alle Repertoiremöglichkeiten ausschöpfen, erweitern, vertiefen. Das deutsche Repertoire hat mich immer fasziniert, Strauss, Wagner, Mahler, und dann natürlich das 20. Jahrhundert: Janáček, Strawinsky, Schostakowitsch. Aber es gibt so viel mehr. Die französische Musik... und so weiter. Ich könnte unendlich über Komponisten reden, die ich studieren möchte.
Nina Rohlfs, 07/2015