Der Amerikaner David Krakauer, an der Juilliard School of Music in New York in klassischer Klarinette ausgebildet, hat einen großen Teil seiner Karriere der Kunst der Klezmermusik gewidmet. Seine erste Begegnung mit dieser Musik fand 1980 statt, als er den aus der Ukraine stammenden jüdischen Klezmervirtuosen Dave Tarras live erlebte. „Obwohl er damals schon sehr alt war und technisch nicht sehr präzise, erzeugte sein Ton bei mir Gänsehaut. Es war absolut unvergesslich!“, erinnert sich David Krakauer.
Jahrhundertelang war Klezmer in Osteuropa die Standardmusik bei
Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten der aschkenasischen Juden.
Klezmer speist sich aus vielen Quellen: Volksmusik aus Griechenland, vom
Balkan, aus Osteuropa und die musikalischen Traditionen der Roma
fließen in dieser Musik zusammen, zu der in Gruppen oder paarweise
getanzt wurde. Wie David Krakauer erklärt, unterscheidet sich Klezmer
von anderen Volksmusiken durch den Einfluss der kantorischen Musik der
Synagogen: „Insbesondere an dem auf Jiddisch Krekhts genannten
Ornament, einer Art Seufzen, kann man den Klezmer-Klang sofort erkennen.
Man erzeugt den Krekhts, indem man kleine angedeutete Extratöne
einfügt. Das erzeugt die Illusion dieser emotionalen Qualität der
Stimme, dieses klagenden Flehens, das man im kantorischen Singen
findet.“ Der Klezmer-Stil versuche, die menschliche Stimme nachzuahmen –
die Schluchzer, das Lachen, die Klagelaute der Menschheit.
Wellen osteuropäischer Immigranten erreichten die USA im späten 19. und
frühen 20. Jahrhundert. Die neuen Amerikaner hatten Klezmer im Gepäck,
und in jüdischen Zirkeln florierte diese Musik ebenso wie jiddisches
Theater und die Kunst des jüdischen Kantorengesangs. Ihr Klezmer
absorbierte neue Einflüsse, besonders aus dem Jazz. Auch David Krakauer
spielte schon als Jugendlicher Jazz, und neben seiner Violine spielenden
Mutter nennt er als frühen musikalischen Einfluss den großen
Jazzklarinettisten Sidney Bechet aus New Orleans: „Seine Musik wies mir
den Weg zu einer Leidenschaft für den Jazz im Allgemeinen und
insbesondere zu einer tiefen Bewunderung für die enorme Individualität
von Künstlern wie Louis Armstrong, Coleman Hawkins, Billie Holiday,
Charlie Parker, John Coltrane und dem großen Duke Ellington. Als ich
anfing, Klezmer zu spielen, konnte ich diese Einflüsse, zusammen mit
Klängen aus Avantgarde und Klassik, in den ‚traditionellen’ Klezmer mit
einweben, um meinen persönlichen Improvisationsstil zu entwickeln.“
Als Folge des Assimilationsprozesses, den die Kinder jener Einwanderer
durchliefen, war das Interesse an Klezmer in den 60er Jahren so gut wie
ausgestorben. Ein erstes Revival regte sich in den USA in den 70ern,
angeführt von Solisten wie Giora Feidman und Bands wie . Diese Musiker
bemühten sich um eine authentische Rekonstruktion der Klezmermusik des
frühen 20. Jahrhunderts anhand alter Aufnahmen und der Erfahrung noch
lebender Musiker.
Während er in New York als klassischer Musiker arbeitete, inspirierte in
den 80er Jahren das zweite Klezmer-Revival David Krakauer dazu, mit
dieser Musik zu experimentieren. Mit seiner Band tourte er Ende der 80er
weltweit. „Als ich bei den Klezmatics spielte, ging es nicht mehr darum
alte Lieder nachzuspielen. Wir hatten Verstärker, wir waren laut, und
wir hatten eine Haltung fast wie eine Punkband“, erklärt David Krakauer.
Sowohl in Europa als auch in den USA gewann Klezmermusik viele
nichtjüdische Fans. Eine Tournee aus seiner frühen Zeit mit den
Klezmatics ist David Krakauer in besonderer Erinnerung: „Plötzlich war
ich auf diesem Festival in Berlin. Wir spielten vor tausenden von jungen
Berlinern. Sie feierten eine richtige Party, und ich dachte, das ist ja
wirklich anders hier.“ Auf Konzertreisen durch ganz Europa hat David
Krakauer immer wieder festgestellt, wie berührt Menschen von der
Evolution dieser Musik sind, die aus Osteuropa nach Amerika wanderte
und, transformiert durch die amerikanische Perspektive, nach Europa
zurückkehrte. Hier wurde in den letzten zwei Jahrzehnten Klezmer auch zu
einem Bekenntnis für den Multikulturalismus: „Vor dem zweiten Weltkrieg
waren Juden die multikulturellen Europäer“, sagt David Krakauer.
„Jüdische Klezmermusik zu spielen erscheint als ein
pro-multikultureller, pro-humanistischer politischer Akt, ohne dass man
dabei den pädagogischen Zeigefinger heben oder mit einer Flagge wedeln
müsste.“
Mittlerweile sind auch Komponisten dem Reiz des Klezmer erlegen. Mit
eigens für ihn geschriebenen Stücken wie Wlad Marhulets Konzert für
Klezmer-Klarinette und Orchester, das er im Juni 2012 mit dem Orchestre
National de Lyon aufgeführt hat, oder Osvaldo Golijovs The Dreams and
Prayers of Isaac the Blind, das er in Städten wie Detroit, Berlin,
München, Dresden und Madrid aufgeführt hat, trägt David Krakauer heute
als gefragter Solist und Kammermusiker seine Erfahrungen aus Klassik und
Klezmer in den Konzertsaal. Golijovs Komposition hat er ebenfalls als
Streichquartettversion mit dem Kronos Quartet aufgenommen und getourt.
Daneben geht er weiterhin mit seiner weltberühmten Band Klezmer Madness!
sowie mit Abraham Inc., einem Projekt, das Klezmer mit Funk und Hip-Hop
verbindet, auf Tournee.
Rachel Kelly 04/2012 | Übersetzung: Nina Rohlfs