„Für mich ist Musik einfach der schönste und erfüllendste Teil meines Lebens“, sagt Tabea Zimmermann über ihre Motivation, den 50. Geburtstag mit einem Konzert zu feiern.
Die Liste der musizierenden Gratulanten, die am 9. Oktober mit Tabea Zimmermann die Bühne im Berliner Radialsystem teilen, gibt viele Anhaltspunkte darüber, wie sich dieses reiche berufliche Leben momentan gestaltet. Tabea Zimmermann erklärt zu ihren Gästen: „Mit Kirill Gerstein habe ich zwar zwei CDs gemacht, aber erst wenige Konzerte gespielt. Da er inzwischen wie ich in Berlin wohnt, entsteht nun die Möglichkeit. Jörg Widmann ist ein enger Freund, und wir spielen seit Jahren immer wieder zusammen, mit ihm als Gast beim Arcanto Quartett oder in unserem Trio mit Dénes Várjon, mit dem wir zum Beispiel im letzten Jahr Jörgs Trio Es war einmal... uraufgeführt haben. Diese lange Verbundenheit finde ich wunderschön.“ In einem weiteren Programmpunkt verbindet sich Tabea Zimmermanns Einsatz für die Neue Musik mit dem für die Lehre: „Benjamins Viola, Viola ist ein sehr anspruchsvolles Werk, das ich immer mal wieder mit einem anderen Studenten erarbeite und nun mit German Tcakulov vorbereitet habe.“ Und wenn sie gemeinsam mit dem von ihr hochgeschätzten Armida Quartett Dvořáks Quintett interpretiert, steht sie mit vier jungen Musikern auf der Bühne, die sie inzwischen zu ihren Freunden zählt, darunter ihre ehemalige Schülerin Teresa Schwamm. „Jetzt ist Teresa eine Kollegin und wir musizieren zusammen: eine schöne Fügung!“
Der Rückblick auf das Erreichte scheint bei Tabea Zimmermanns Betrachtungen zu ihrem runden Geburtstag nicht unbedingt im Mittelpunkt zu stehen. Wenn sie doch kurz die Jahrzehnte auf der Bühne Revue passieren lässt, spricht ein wenig Verwunderung aus der Musikerin, die als Dreijährige mit dem Bratschenunterricht anfing und demnach seit 47 Jahren mit ihrem Instrument „zunehmend vertraut“ ist, wie sie augenzwinkernd sagt. „Das Spielen, Reisen, Arbeiten hat mich das ganze Leben hindurch begleitet, und es ist immer noch extrem positiv besetzt. Ich habe riesige Lust zu musizieren! Von Schlusspunkt keine Spur, und das, obwohl ich früher nie geglaubt hätte, dass ich mit 50 noch bratschen würde.“ Ob sie in zehn Jahren noch spielen wird, wisse sie nicht. „Inzwischen kann ich es mir allerdings vorstellen. Natürlich ist dabei die Gesundheit ein Thema. Noch fühle ich mich nicht beeinträchtigt, aber das Streichinstrument ist eine hochkomplexe Beschäftigung, die man sicher mit 80 nicht mehr gleichermaßen ausüben kann.“
Der zweite Grund, der die fünfzig zu einer wichtigen Zahl für sie macht, ist ein sehr persönlicher: Tabea Zimmermanns erster Mann, der Dirigent David Shallon, verstarb kurz vor seinem Fünfzigsten überraschend. „Wir wollten eigentlich damals schön feiern, und es kam leider nicht mehr dazu. Dass ich selbst jetzt, 16 Jahre später, sozusagen über diese Schwelle gehe, hat für mich eine große Bedeutung.“
„Und dann feiere ich jetzt halt mal“, sagt Tabea Zimmermann abschließend zu dem Thema, denn das habe sie bisher nie getan. Dazu passt ihr momentanes Grundgefühl, dass sie mit „Glück gehabt“ beschreibt. „Ich habe unglaublich viel bekommen im Leben, von der Musikschule Lahr angefangen über meine Lehrer in Freiburg und Sándor Végh in Salzburg: Ich habe immer – und das ist eigentlich überraschend – Unterstützung und Förderung gespürt. Von klein auf haben mich Sätze begleitet wie: ‚Bleib wie du bist’ und ‚Mach weiter so’. Das gibt schon ordentlich Rückenwind!“ Dass sie aus dieser Erfahrung eine Verantwortung ableitet, ist keine Floskel, sondern Antrieb für eine ganze Reihe ihrer Aktivitäten; neben der immer wichtiger gewordenen Lehrtätigkeit gehört dazu auch ihr – relativ neues – Engagement bei der Hindemith Stiftung sowie als Vorstands- und Stiftungsrats-Vorsitzende beim Beethoven Haus Bonn und als künstlerische Leiterin der Beethoven-Woche. „Ich glaube nicht an große Veränderungen von außen“, erläutert sie dazu. „Ich habe beobachtet, dass man gesellschaftlich immer nur im eigenen Bereich etwas ändern kann. Das hat für mich mit persönlichem Kontakt zu tun. Der Umgang mit Machtstrukturen und Hierarchien liegt mir nicht.“
Immer mehr gestaltet sie entlang dieser Maxime auch ihr eigenes musikalisches Umfeld und wählt besondere musikalische Partnerschaften. Beim Ensemble Resonanz beispielsweise war sie zwei intensive Jahre lang Artist in Residence und brachte unter anderem Enno Poppes Bratschenkonzert Filz zur Uraufführung. Gerade wurde das Werk beim Musikfest Berlin noch einmal mit großem Erfolg präsentiert. „Das Ensemble Resonanz ist eine kleine Gruppe, die für sich selber ein sehr starkes Profil entwickelt hat und eine demokratische Grundhaltung hat. Wenn ich dort ein Programm leite, bringe ich zwar meine Gedanken ein, aber es geht dabei nicht darum, zu bestimmen, was die anderen machen müssen. Viel lieber möchte ich etwas vorschlagen, was das Ensemble einfach nicht ausschlagen kann.“ Die gemeinsame Suche nach neuen Erkenntnissen stehe dabei ebenso wie beim Unterrichten im Mittelpunkt. „Alles, was ich mit meinen Studenten im Labor erarbeite, geht in die eigene Arbeit ein, und umgekehrt ist all das, was ich unterwegs bei Proben und Konzerten erlebe, in der nächsten Woche schon wieder in der Hochschule Thema. Das ist ein ständiges Wachsen, über das ich richtig froh und dankbar bin.“
Ob auch Michael Jarrells neues Bratschenkonzert demnächst im Unterricht auftauchen wird? Die Noten stehen jedenfalls momentan auf Tabea Zimmermanns heimischem Notenständer, und ehe gefeiert werden darf, will noch eine Uraufführung bewältigt sein.
Als „fast unspielbar und doch ein Riesenspaß“ beschreibt sie das außerordentlich virtuose und formal abwechslungsreiche Werk. „Ich habe über 50 Kompositionen zur Uraufführungen gebracht. Ein gewisses Vertrauen kann ich also aus den bisher bestandenen Prüfungen nehmen und hoffen, dass es auch dieses Mal gut geht.“ Lachend fügt sie hinzu: „Aber so richtig weiß ich es nie. Das, was man vorbereitet, übt und tüftelt, setzt sich erst in der Probenarbeit zu einem größeren Bild zusammen.“ Ein Prozess, der bei allen Beteiligten Vertrauen und Offenheit erfordert. „Vor der Uraufführung ist meine Haltung: Ich muss das erst einmal nicht beurteilen, sondern ich möchte ermöglichen, dass diese Klänge zu hören sind.“
Mit ähnlicher Offenheit blickt Tabea Zimmermann auch in die eigene Zukunft. „Die Frage danach beschäftigt mich schon seit meinem ersten Wettbewerb, als ich in einem Interview erklären sollte, was ich in zehn Jahren machen möchte. Ich konnte und kann das nicht sagen! Ich bin froh, dass ich nicht immer genaue Pläne hatte. Und Lieblingsmusik ist immer die, die heute gerade auf dem Pult steht.“
Nina Rohlfs, 09/2016