Das Remix Ensemble wird 25 Jahre alt, und seit 20 Jahren musiziert das Solistenensemble für Neue Musik in einem neuen, atemberaubenden Konzerthaus, der Casa da Música. Schon 2015 gab uns Peter Rundel ein Interview über die Anfänge und besonderen Bedingungen seiner Arbeit in Porto. Wir veröffentlichen diesen Text zum Jubiläum erneut.
Es sind eine Reihe mutiger Entscheidungen, die das Remix Ensemble wie das Haus zu einer erstaunlichen Erfolgsgeschichte werden ließen – und das immerhin durch eine handfeste Finanz- und Wirtschaftskrise hindurch. Wie ein Bekenntnis zur Bereitschaft, neue Wege zu gehen, steht am Anfang dieser Geschichte die Gründung eines Solistenensembles für zeitgenössische Musik für die damals noch in Planung befindliche Casa da Música. „Remix war zunächst die einzige Konstante im Hinblick auf die Eröffnung der Casa da Musica“, erklärt Peter Rundel. „Pedro Burmester, der portugiesische Pianist, der dieses Haus ins Leben gerufen hat, war sich sicher, dass er ein Ensemble für zeitgenössische Musik fest an das Haus binden wollte.“ Eine internationale Ausschreibung und Probespiele in ganz Europa folgten. „Bevor das Haus tatsächlich stand, haben die Musiker schon fünf Jahre daraufhin gearbeitet“, sagt Peter Rundel, der kurz vor dem Einzug ins neue Haus die Leitung des Ensembles von Stefan Asbury übernahm.
Sie ist wohl eine der interessantesten unter den vielen Konzerthausneubauten der vergangenen Jahrzehnte, diese Casa da Música. Wie ein auf der Spitze stehender Kristall wirkt der von Rem Koolhaas‘ berühmtem Architekturbüro OMA entworfene polygonale Bau, der im Herzen von Portugals Wirtschaftsmetropole mit spektakulären Ausblicken, mit einer Vielzahl verschieden nutzbarer Räume und natürlich mit einem akustisch herausragenden großen Saal aufwartet. Ein Haus, von dem man meinen könnte, es sei wie geschaffen um die bessere Gesellschaft der Stadt zu bedienen – mit Gastspielen großer internationaler Orchester, mit Starsolisten. Oder das eben doch in seiner Modernität ermöglicht, für eine musikalische Kultur der Zukunft zu stehen und sich einem breiten Publikum zu öffnen? „In der ersten Zeit nach der Eröffnung war diese Art von repräsentativer Kultur am Haus durchaus die Politik“, räumt Peter Rundel ein. Mehr und mehr habe das Haus in den folgenden Jahren allerdings seine finanziellen Ressourcen aus Stiftungsmitteln und staatlichen Zuschüssen für eigenes Programm eingesetzt. „Man bewegte sich von der Repräsentation weg zur Produzentenfunktion.“ Entsprechend wurden neben Remix sukzessive weitere hauseigene Ensembles aufgebaut: Das vormals unabhängige Orquestra Sinfónica do Porto wurde übernommen, ein Kammerorchester für Alte Musik unter der Leitung von Lawrence Cummings ins Leben gerufen. „Zu guter Letzt wurde ein Chor gegründet mit Paul Hillier als Leiter, so dass das Haus nun über vier eigene Klangkörper verfügt. Das ist einzigartig in Europa!“, ergänzt Peter Rundel. „Und es ist Resultat einer bewussten politischen Entscheidung zur aktiven Förderung der lokalen künstlerischen Kräfte.“
Dass diese kulturpolitische Entscheidung zu einer Zeit kommt, in der in Portugal eine junge Generation exzellenter Musiker und Musikerinnen die Szene betritt, ist wohl ein Glücksfall für alle Beteiligten. Natürlich ist Remix ein internationales Ensemble, hat aber inzwischen einen erstaunlich hohen Anteil portugiesischer Mitglieder vorzuweisen. „Und man muss eindeutig sagen, dass dies aufgrund der Leistungen so ist“, stellt Peter Rundel klar. „Der musikalische Nachwuchs ist in Portugal mittlerweile auf internationalem Niveau. Das zeigt sich bei unseren Probespielen genauso wie bei der Sommerakademie des Remix Ensembles und bei den jungen Solisten, die bei verschiedenen Gelegenheiten an der Casa da Música auftreten.“
Passend zum musikalischen Selbstbewusstsein dieser neuen Generation ist das programmatische Konzept des Hauses ebenso eigenständig wie transparent. Peter Rundel bestätigt, dass die Zusammenarbeit mit dem Intendanten des Hauses, António Pacheco, ein wichtiger Erfolgsfaktor für das Remix Ensemble ist. „Es gibt einen deutlichen Schwerpunkt auf zeitgenössischer Musik – da ist Remix natürlich ein wichtiger Vertreter – und es gibt ein dramaturgisches Gesamtkonzept, zu dem beispielsweise Länderschwerpunkte gehören.“ Nicht nur Stücke der Tradition stehen dabei im Mittelpunkt, sondern die Schwerpunkte werden auch durch prominente Komponisten in residence getragen. Für den Deutschlandfokus in der Jubliläumssaison 2015 ist momentan beispielsweise Helmut Lachenmann am Haus; 2017 ist Harrison Birtwistle zu Gast, jeweils mit Werkaufführungen von allen hauseigenen Ensembles. „Parallel dazu bekommt jedes Jahr ein junger portugiesischer Komponist die Möglichkeit, sich durch Auftragswerke einem breiteren Publikum vorzustellen“, ergänzt Peter Rundel. „Zusätzlich gibt es über die Saison verstreut thematische Schwerpunkte, sozusagen Minifestivals für alle Klangkörper. Diese klare Struktur ist für das Publikum gut nachvollziehbar, und gleichzeitig ermöglicht sie eine große Vielfalt. Zum Erfolg der Casa gehört, dass das Haus und die Konzerte in breitesten Bevölkerungsschichten von Porto extrem gut angenommen werden.“
Diese Entwicklung wäre für jede Stadt eine gute Nachricht – und für Porto ist der Wert eines funktionierenden kulturellen Zentrums, das über seine Mauern hinaus Impulse in das Musikleben der Stadt geben kann, sicherlich kaum zu überschätzen. Denn die Weltkulturerbestadt am Douro ist zwar als Wirtschaftszentrum des Landes ein vitaler urbaner Raum, aber eben auch ein Ort, der aus Sicht der europäischen Musikmetropolen am Rande Europas liegt – wer von hier aus Konzerte in anderen Städten besuchen will, hat auf jeden Fall einen weiten Weg. Umgekehrt ergibt sich für das Remix Ensemble aus dieser Situation heraus der besondere Wunsch, auch andernorts sein Publikum zu finden. „Wir spielen ab und zu in Lissabon bei der Gulbenkian Stiftung, aber Portugal ist insgesamt ein kleines Land mit wenig Auftrittsmöglichkeiten“, erklärt Peter Rundel. „Umso wichtiger ist es, dass wir die Möglichkeit haben, uns bei europäischen Festivals für zeitgenössische Musik oder mit unseren Opernprojekten der Konkurrenz und anderem Publikum zu stellen. Diese künstlerische Herausforderung ist für das Ensemble sehr wichtig und hat uns in den letzten Jahren einen deutlichen Schritt nach vorne gebracht.“
Aufsehen erregt haben dabei besonders die zeitgenössischen Musiktheaterprojekte, die das Remix Ensemble regelmäßig auf Tourneen präsentiert. „Es gibt eine erprobte Kooperation mit der französischen Produktionsfirma T&M - Théâtre et Musique“, erläutert Peter Rundel. „Extrem erfolgreich war beispielsweise Massacre von Wolfgang Mitterer. Dann natürlich die Ring Saga, ein Mammutprojekt, das nur mit weiteren Partnern gestemmt werden konnte.“ Die Bearbeitung von Wagners Ring, eingedampft auf drei Tage und Ensemblegröße, war vielerorts in Frankreich und in Italien zu sehen und wurde vom Fernsehsender Arte mitgeschnitten. „Nach einer Pause zeigen wir nun die Uraufführung der ersten Oper des jungen Italieners Francesco Filidei, sicher einer der interessantesten Komponisten seiner Generation“, freut sich Peter Rundel.
Giordano Bruno kommt als Oper in zwölf Bildern Mitte September 2015 in Porto auf die Bühne, ehe Remix das Werk in Straßburg und Reggio Emilia präsentiert. „Ich glaube, es ist eine musikalisch absolut herausragende Schöpfung, die Francesco Filidei da gelungen ist“, begeistert sich der Dirigent, noch unter dem Eindruck erster Proben mit Sängern und Chor. „Der Stoff ist mit einer hypnotischen Musik umgesetzt.“
Nina Rohlfs, zuerst veröffentlicht 08/2015