Ich lernte Hans Werner Henze und Oliver Knussen gleichzeitig kennen,
nach einem Konzert in der Queen Elizabeth Hall Ende der 80er Jahre. 1996
half mir Olly, Herrn Henze als Composer in Residence zum Suvisoitto
Festival in Finnland einzuladen, und ich blieb danach mit beiden bis an
ihr Lebensende befreundet. Beim Festival habe ich Hans Werner Henzes Introduktion,Thema und Variationen für Violoncello, Harfe und Streichorchester gespielt, basierend auf einem Satz, den er seinen SiebenLiebesliedern entnommen hatte. Danach fragte er mich bei jedem unserer Zusammentreffen, ob ich auch die EnglischenLiebeslieder
spielen könne. Ich nahm die Noten jedes Mal hervor, allerdings mit dem
Gefühl, dass ich mir nicht vorstellen konnte, diesem unglaublich
schwierigen und problematischen Stück jemals gerecht zu werden und
überhaupt durch das Orchester hindurch hörbar zu bleiben. Als Hans
Werner Henze starb, rief Olly an und fragte mich, ob ich die Englischen Liebeslieder mit
ihm und dem BBCSO in einem reinen Henze-Konzert spielen würde. Ich
hörte mich selbst ohne zu zögern sagen, dass ich dies natürlich sehr
gern täte. Mir wurde klar, dass sich die Situation verändert hatte. Das
Stück sah immer noch schwierig aus, aber jetzt, da der Komponist nicht
mehr unter uns war, gehörte das Stück zur Musikgeschichte und es
erschien nicht richtig, Angst davor zu haben.
Ich werde die Proben für dieses Konzert mit Olly nie vergessen. Ich
hatte natürlich schon viele andere Konzerte mit ihm gegeben und wusste,
dass er die komplexesten Stücke vollkommen natürlich erscheinen lassen
konnte. Er konnte Carter atmen lassen wie Puccini, er konnte das Genie
von Bloch in Schelomo hervorbringen, er konnte das Schumann-Konzert so
frisch klingen lassen, als wäre es gestern geschrieben worden. Aber
Henzes Musik steht auf einem anderen Blatt, er orchestrierte sogar ein
Cellokonzert in so vielen Schichten, dass man sich fragt, wie man
überhaupt wissen kann, worauf man den Fokus richten soll.
Was Olly in diesen Proben getan hat, war das Stück viel durchzuspielen
und ab und zu eine Gruppe aufzufordern, alleine zu spielen, anstatt es
auseinanderzunehmen und aus den Details heraus wieder aufzubauen. Er
erlaubte uns, diese schönen und zarten Schichten zu entdecken, die unter
der Masse der Musik verborgen waren. Es war, als würde man nicht nur
den Wald sehen, sondern jeden einzelnen Baum und jede Blume. Als
Ergebnis können wir nun eines der bewegendsten Stücke für Cello und
Orchester hören, die jemals geschrieben wurden. Olly hat auch die Texte
ausgegraben, auf denen jedes Liebeslied basiert. Sie bringen die
unglaubliche Sensibilität und Bildung von Henze zum Vorschein. Wie die
Texte, die sich über Jahrhunderte und eine Vielzahl von Stilen
erstrecken, durchläuft das Stück alle möglichen Situationen, von der
zartesten bis zur gewalttätigsten.
Nun, da ich keine Möglichkeit mehr habe, mit meinem besten und engsten
Freund Olly zu musizieren, bin ich so glücklich, dass wir die Aufnahme
gerade dieses Konzertes als gemeinsames Testament hinterlassen können.
Anssi Karttunen
Hans Werner Henze
Heliogabalus Imperator – Works for Orchestra
Anssi Karttunen, BBC Symphony Orchestra, Oliver Knussen
Wergo, WER 73442