Bei dem Konzert im Teatro alle Tese kommt neben Samir Odeh-Tamimis im Auftrag der Biennale de Venezia komponiertem Werk auch Wolfgang Rihms 1981 entstandenes Tutuguri VI (Kreuze) zu Gehör.
Samir Odeh-Tamimi erklärt zu seinem Werk: "ROAÏ kommt von dem arabischem Wort roaïa und bedeutet so viel wie 'die Träume am frühen Morgen'. Diese werden in der arabischen Mythologie als göttliche Mitteilung über Dinge, die geschehen könnten, definiert. Kron ist die Abkürzung des griechischen Wortes krónos (Saturn). ROAÏKRON könnte man als saturnische Mitteilung verstehen.
Gigantische Ringe umkreisen den Planet Saturn. Sie bestehen aus einer ungeheuren Anzahl einzelner kleiner Materialbrocken. Die Größe dieser Partikel aus Eis und Gestein reicht von Staubteilchen bis zu einem Durchmesser von einigen Metern. Diese schwebenden Partikel finden ihre musikalische Entsprechung in einer Anhäufung von übereinander geschichteten, immer wiederkehrenden rhythmischen Gebilden mit den verschiedenen Klangfarben der Percussion-Instrumente, erzeugt durch Fell, Eisen, Holz und so weiter.
Aleatorische rhythmische Strukturen, die sich häufig wiederholen, führen zu unvorhersehbaren rhythmischen Gebilden, einem hochkomplexen Rhythmusgewebe. Zusätzlich artikulieren die Ausführenden Sprachfetzen, die sich gelegentlich bis zu einem regelrechten Schrei steigern können und – ähnlich wie in anderen meiner Kompositionen – eine archaische Wirkung haben. In anderen, rituell wirkenden Teilen des Werkes dagegen werden teils sanfte, teils abrupte Übergänge von geordneten Unisono-Passagen hin ins Chaos gestaltet. Häufig werden unterschiedliche rhythmische Strukturen übereinander geschichtet, als würden sie wie Staubpartikel um uns herum im Raum schweben.
An einem bestimmten Punkt des Werkes verlassen die Musizierenden ihre Positionen. Mit Handtrommeln wandern sie durch den Raum und durch das Publikum und nehmen dabei ihre eigenen, aus dem komponierten Material aleatorisch frei gewählten rhythmischen Gebilde und Sprachfetzen mit. Nach etwa drei Minuten kehren alle an die Ausgangspositionen zurück und eine explosionsartige Musik erklingt, die das zuvor Gehörte verdichtet. Sie hinterlässt eine nervöse Ruhe, wie nach einer Explosion oder einem Brand: Es ist still, aber Rauch steigt hier und da empor, den wir vielleicht durchschreiten müssen."
