Wir feiern 15 Jahre karsten witt musik management. Unser zu diesem Anlass erschienenes Magazin (DOWNLOAD) präsentiert im Zeitungsformat aktuelle Aktivitäten und Positionen rund um unsere Künstler sowie Erinnerungen an eineinhalb Jahrzehnte voller Musik. Den Auftakt zu diesem Potpourri an Meldungen, Porträts und Hintergrundberichten bildet ein Interview mit Karsten Witt: Zu Beginn des Jahres erhielt er Besuch von der Redaktion des Monats-Magazins Kreuzberg Welten, die uns das folgende Gespräch freundlicherweise zum Abdruck freigab.
Karsten Witt Musik Management feiert 2019 sein 15jähriges Jubiläum. Warum haben Sie sich seinerzeit hier in Kreuzberg angesiedelt?
Bei meiner Frau und mir gab es zunächst eine private Motivation. Der Stadtteil war damals noch nicht so hip, Prenzlauer Berg lag im Trend. Wir kamen aus London, wo wir im multikulturellen Osten der City, off Brick Lane gewohnt hatten – da kam für uns nur Kreuzberg in Frage. Wir hatten Glück, dass wir in einem größeren Büro Unterschlupf fanden. Wir begannen als Untermieter mit zwei Räumen. Hinzu kommt, dass wir hier recht zentral liegen. Zum Konzerthaus, zur Staatsoper, zur Komischen Oper oder zur Musikhochschule Hanns Eisler braucht man mit dem Fahrrad nur zehn Minuten.
Und warum überhaupt Berlin, hätten Sie nicht in London bleiben können?
London ist eine wunderbare Stadt für Touristen; aber dort zu leben und zu arbeiten ist nicht so leicht, außerdem sehr teuer. Vor allem gibt es dort schon jede Menge großer internationaler Artist Managements, mit denen wir befreundet waren und mit denen wir nicht konkurrieren wollten. Berlin dagegen war in unserer Branche noch ziemlich leer. Es gab die alt-ehrwürdige Konzertdirektion Adler. Aber Sonia Simmenauer, KD Schmid und die Zweigstellen der Londoner Büros kamen erst später. Eine Musik-Metropole wie Berlin ist natürlich praktisch für uns, weil hier wegen der vielen Orchester, Konzert- und Opernhäuser so viele Künstler und Kollegen arbeiten. Das spart uns Reisezeit und -kosten.
Sie waren vorher Intendant des Wiener Konzerthauses, Präsident der Deutschen Grammophon und CEO des Londoner Southbank Center gewesen. Wieso haben Sie dann Ihre eigene Firma gegründet?
Vor allem hatte ich schon früh, während meiner Studienzeit, die Junge Deutsche Philharmonie gegründet, aus der später das Ensemble Modern und die Deutsche Kammerphilharmonie hervorgingen. Die habe ich 18 Jahre lang gemanagt, zwar als Sekretär selbstverwalteter Orchester, in denen die Musiker das letzte Wort hatten, aber ohne eigentliche Vorgesetzte, ohne Subventionen, ohne Fremdbestimmung – quasi wie eine eigene Firma. Auch das Wiener Konzerthaus war zu meiner Zeit eine Institution mit wenig externer Kontrolle, in der ich noch die integrale künstlerische und wirtschaftliche Verantwortung trug. Ich denke, das entspricht mir. Ich trage – natürlich gemeinsam mit unseren Mitarbeitern – die Verantwortung für die Risiken, die wir eingehen. So etwas gibt es heutzutage kaum noch. Es ist aber angemessen für eine künstlerische Einrichtung, die für ihr Überleben ständig neue Angebote produzieren muss.
Ist man nicht immer abhängig, als Firma zum Beispiel von seinen Kunden?
Klar, man agiert immer in einem Geflecht von Abhängigkeiten. In unserem Fall sind das vor allem die Veranstalter, die unsere Künstler engagieren; aber natürlich auch die Künstler selbst, die wir vertreten, unsere Mitarbeiter, unser Vermieter – der übrigens gerade die Miete um 50% erhöht hat. Aber letzten Endes können wir selbst entscheiden, wen wir vertreten, mit wem wir zusammenarbeiten – und ob wir uns Kreuzberg noch leisten wollen.
Was ist das überhaupt, ein Musik Management?
Grundlage unserer Arbeit ist die Beratung für Veranstalter klassischer Musik, denen wir Programm liefern, die ich aufgrund meiner Erfahrung aber auch beim Bau neuer Säle oder bei der Neuausrichtung ihrer Organisation beraten kann. Und natürlich sind wir Berater unserer Künstler, die wir in der Regel exklusiv weltweit vertreten.
Die Beratungsfunktion leuchtet ein. Aber wozu braucht man denn noch Vermittler, wenn heute jeder mit jedem direkt über das Internet kommunizieren kann?
Die Frage stellen wir uns auch ab und zu – leider gibt es viel zu viel redundante Kommunikation, die unsere Zeit auffrisst. Aber genau deswegen sind vielbeschäftigte Künstler auf ein Büro angewiesen, das ihnen diese Arbeit abnimmt. Die Verhandlung der Bedingungen eines Engagements ist leichter für einen Mittler, der die Interessen beider Seiten überblickt. Und jungen Künstlern mit wenig Erfahrung können wir mit unseren Kontakten helfen, ihren Weg zu finden.
Es geht in Ihrem Metier also in erster Linie um Beziehungspflege.
Stimmt, wir müssen immer schön nett sein. Das hat aber auch etwas mit der Musik selbst zu tun. Musiker wollen ihr Publikum beglücken – oder ihnen zumindest einen neuen Blick auf die Welt verschaffen. Das funktioniert nur mit einer positiven Grundhaltung. Ich denke, die Menschenfreundlichkeit, die alle Teilnehmer an diesem Spiel prägt, das klassische Musik heißt, ist es, was die meisten von uns motiviert, täglich dafür zu arbeiten.
Und wie macht man das: Beziehungen in der ganzen Welt unterhalten?
Ich muss zugeben, dass ich das stark unterschätzt habe, als wir anfingen. Wir haben gleich entschieden, für Künstler nur im Generalmanagement zu arbeiten, weil es uns ja nicht nur um den Verkauf geht, sondern um eine umfassende Betreuung. Und wir haben gleich mit allen möglichen Fächern begonnen: Solisten, Dirigenten, Sänger, Komponisten, verschiedene Ensembles, Touring von Orchestern etc. Erst später ist mir klar geworden, dass es in unserer Klassik-Welt viele verschiedene Netzwerke gibt, die allenfalls über die großen Konzerthäuser und CD-Labels miteinander verbunden sind: Opernhäuser, Orchester, Kammermusik, die Alte Musik, Neue Musik etc. Um alle diese Netzwerke zu bedienen, braucht man ein größeres Team. Hinzu kommen die vielen Regionen, die bereist werden müssen. Während die traditionelle Klassik-Szene in Europa vor großen Herausforderungen steht, gibt es in Asien und Ost-Europa ein starkes Wachstum.
Wie viele Mitarbeiter haben Sie?
Wir haben vor 15 Jahren zu viert begonnen. Inzwischen sind Maike Fuchs und Xenia Groh-Hu, die von Anfang an dabei waren, Mit-Geschäftsführerinnen unserer GmbH, bei der rund 20 Mitarbeiter angestellt sind, inklusive Teilzeitkräfte und Praktikanten.
Gibt es da verschiedene Abteilungen, oder wie geht das mit so vielen Leuten?
Im Prinzip gibt es für jeden Künstler zwei Mitarbeiter, einen für die strategische Planung und die Akquise, und einen für die Abwicklung der Projekte. Und dann gibt es eine gewisse Spezialisierung auf bestimmte Fächer: Sänger, Instrumentalisten, Dirigenten, Neue Musik, Touring. Schließlich sind da die zentralen Funktionen: Website, IT, Personal, Buchhaltung, Büroadministration, die wir teils intern verteilt und teils mit spezialisierten Mitarbeitern besetzt haben.
Und was muss man draufhaben, um bei Ihnen zu arbeiten?
In erster Linie gesunden Menschenverstand, Organisationsgeschick, Kommunikationsfreude und eine gehörige Portion Perfektionismus. Jeder muss Englisch sprechen und schreiben können. Andere Sprachen sind nützlich für uns; wir haben Mitarbeiter, die Mandarin, Russisch, Französisch, Spanisch sprechen. Und jeder braucht musikalische Grundkenntnisse. Die meisten von uns haben Musikwissenschaft oder Musik studiert und spielen Instrumente, wirken in Amateurorchestern mit oder singen in Chören.
Das hört sich alles sehr logisch und nett an, wie Sie hier arbeiten. Geht es aber nicht in erster Linie darum, Ihren Konkurrenten die Stars abzujagen?
Das ist eine Frage der Haltung. Uns geht es in erster Linie um die Musik. Unter den wenigen Stars der Klassik gibt es nur ganz wenige interessante Interpreten. Und die haben meist keinen Grund, ihre Agentur zu wechseln. Wir sprechen Künstler auch gar nicht aktiv an. Zum Glück gab es von Anfang an immer genügend hervorragende Künstler, die mit uns zusammenarbeiten wollen und den Weg zu uns finden.
Können Sie uns verraten, wie man mit einer solchen Haltung sein Geld verdient?
Unsere Künstler bezahlen uns hauptsächlich in Form von Provision auf Honorare für Auftritte, die wir ihnen vermitteln. Letzten Endes profitieren wir also von den Veranstaltern, die unsere Künstler engagieren und deren Honorare zahlen.
Das heißt also, dass Sie zunächst in Vorleistung gehen, bevor Sie bezahlt werden?
Korrekt. Veranstalter planen normalerweise mit einer Frist von ein bis zwei Jahren. Solange dauert es, bis wir die Früchte unserer Arbeit ernten. Das betrifft nicht nur die Finanzen. Solange dauert es auch, bis wir ein Konzert erleben, das wir vereinbart haben, oder die neue Komposition hören, für die wir einen Auftrag gefunden haben.
Das hört sich aber riskant an.
Der Aufbau einer solchen Firma ist offensichtlich kein sicheres Investment, und man braucht einen sehr langen Atem. Niemand macht das aber in erster Linie wegen des Geldes. Das gilt übrigens auch für unsere Mitarbeiter. Hier zu arbeiten, ist eher eine Entscheidung für eine Lebensform. Wir lieben die Musik und unsere Künstler und tummeln uns gern backstage – immer dienlich und mit dem Ohr an der Bühne.
Was ist denn dann die Perspektive für Ihre Mitarbeiter – wollen die sich eines Tages auch selbständig machen?
Das ist wie gesagt nicht so leicht. Wir arbeiten derzeit an einem Modell, wie unsere Mitarbeiter an der Firma beteiligt werden können. Seit dem Aufbau meiner selbstverwalteten Orchester erscheint mir das der richtige Weg.
Sie sitzen hier in Kreuzberg zwischen lauter Start-ups. Da wäre es doch ganz normal, die Firma eines Tages zu verkaufen?
Ist das wirklich normal? Unternehmen, die ausschließlich von Kommunikation leben, sind doch völlig abhängig von den Menschen, die sie tragen. Soll man die dann mit verkaufen? Zumindest in unserer Branche geht so etwas in der Regel schief.
Wollen Sie als Unternehmer denn nach 15 Jahren nicht mal wieder etwas Neues anfangen?
Ich denke eher an neue Projekte, z. B. das Veranstalten eigener Konzertreihen. Für mich ist diese „Arbeit“ in erster Linie Selbstzweck. Natürlich ist sie manchmal anstrengend. Das ständige Reisen geht einem auf die Nerven. Aber wenn wir abends im Konzert oder in der Oper sitzen, sind wir dankbar, dass wir ein so privilegiertes Leben führen dürfen.
Mit freundlicher Genehmigung des Monats-Magazins Kreuzberg Welten (KW).