Am 2.2.2015 haben der Bayerische Ministerpräsident, Horst Seehofer, und der Münchner Oberbürgermeister, Dieter Reiter, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mitgeteilt, dass sie anstelle eines neuen Konzertsaales für München einen Umbau der Philharmonie im Gasteig und eine Renovierung des Herkulessaals anstreben; anschließend sollten das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO) und die Münchner Philharmoniker (MPhil) beide Säle gemeinsam bespielen. Der Bayerische Rundfunk hat karsten witt musik management daraufhin kurzfristig mit einer Fachstudie beauftragt, in der die Konsequenzen dieses Beschlusses untersucht werden sollen.
Die Studie wurde unter dem Titel „Braucht München (k)einen neuen Konzertsaal“ am 26.2. vom Bayerischen Rundfunk veröffentlicht. Sie kann hier heruntergeladen werden.
Karsten Witt hofft, dass die Studie zur Versachlichung der Münchner Diskussion beiträgt. Am Ende des 19seitigen Papiers zieht er folgende Konsequenzen:
Seit mindestens 10 Jahren wird in München ein erstklassiger neuer Konzertsaal für symphonische Musik gefordert. In seiner Regierungserklärung vor gut einem Jahr hat der Bayerische Ministerpräsident dessen Notwendigkeit anerkannt und seine Realisierung in Aussicht gestellt: „In München und Nürnberg sollen neue Konzertsäle für unsere Orchester von Weltrang ermöglicht werden.“ Es sind keine Gründe bekannt, die eine Revision dieser Absicht nahelegen würden.
Bei der PK am 2.2. wurde die Idee wiederbelebt, die Philharmonie am Gasteig gleichberechtigt durch das BRSO und die MPhil bespielen zu lassen. Schon seit Jahren ist bekannt, dass dies alle übrigen Veranstalter in der 24 Wochen umfassenden Periode, in der beide Orchester in München arbeiten, vollständig aus der Philharmonie verbannen würde. Diese Veranstalter, die gegenwärtig in der Philharmonie deutlich mehr Konzerte veranstalten als die MPhil und das BRSO zusammen und damit maßgeblich zu den Einnahmen des Gasteig beitragen, würden durch ein solches Vorgehen in ihrer Existenz bedroht. Es würde aber vor allem ihr breites, häufig auch touristisches Publikum treffen und zu einer deutlichen Verarmung des Münchner Konzertlebens führen.
Die Philharmonie im Gasteig ist ein sehr guter und erfolgreicher Multifunktionssaal mit einer ungewöhnlich großen Besucherkapazität von rund 2.400 Plätzen. Er fungiert als Flaggschiff des Gasteig als „Münchens Kulturzentrum“ mit einem „bunten und vielfältigen Programm“. Ein Saal dieser Größe ist akustisch immer problematisch. Er erfreut sich aber beim Publikum großen Zuspruchs; und sämtliche Veranstalter, inklusive der MPhil, haben in ihm große Zuwächse bei den Besucherzahlen erzielt. Der Umbau eines solchen Saales zu einem international erstklassigen Saal für symphonische Musik wäre aufwendig und riskant. Wenn er tatsächlich erfolgte, müsste in München ein neuer Multifunktionssaal mit wiederum deutlich über 2.000 Sitzplätzen errichtet werden. Die Philharmonie hat bewiesen, dass München einen solchen Saal braucht.
In der politischen Diskussion wird ab und zu leichtfertig mit Auslastungszahlen operiert. Die Philharmonie und der Herkulessaal sind in der Kernsaison beide vollständig ausgebucht. Es gibt in dieser Zeit in München keinerlei Konzertsaal-Reserven, die Veranstalter nutzen schon heute alle sich bietenden Lücken. Der Herkulessaal ist wegen seiner Raumkapazität für groß besetzte Orchester ungeeignet. Dies – nicht die akustischen Schwächen des Gasteig – ist der Hauptgrund, warum in München ein neuer großer Saal für klassische Musik gebraucht wird.
Der Herkulessaal kommt daher als regelmäßige Ausweichspielstätte für die MPhil und das BRSO nicht in Frage. Man würde der Staatsoper auch nicht vorschlagen, ihre Vorstellungen wieder ins Prinzregententheater zu verlegen. Dennoch muss der Herkulessaal in allen Bereichen saniert und modernisiert werden. Wenn möglich sollten die Sichtlinien verbessert sowie Einbauten für eine variable Akustik vorgesehen werden. Der Herkulessaal kann dann für Rezitals, Kammermusik und Kammerorchester ebenso wie für Alte Musik, Chöre und Amateurensembles weiterhin eine wichtige Rolle spielen.
Der Herkulessaal kommt auch als Ersatzspielstätte während einer eventuellen Schließperiode des Gasteig nicht in Betracht. Wenn beide Orchester ihr Publikum in diesem Saal bedienen wollten, würden dafür sämtliche Konzerttermine, die derzeit während der gesamten Saison im Herkulessaal zur Verfügung stehen, nicht ausreichen. Außerdem könnten sie nicht mehr ausreichend proben, und es gäbe keinerlei Räume für die übrigen 250 Konzerte, die derzeit je zur Hälfte in der Philharmonie und im Herkulessaal stattfinden.
Der Gasteig muss offenbar saniert werden. Zunächst sollte intensiv geprüft werden, ob die Sanierung der Philharmonie nicht in mehreren – eventuell verlängerten – Ferien-Perioden realisiert werden kann. Falls eine mehr als einjährige Schließperiode notwendig sein sollte, müsste eine Ersatzspielstätte errichtet werden. Angesichts der Kosten eines solchen Projekts wäre es sinnvoller, die dafür notwendigen Mittel in einen neuen Saal zu investieren und die Schließperiode des Gasteig so lange aufzuschieben, bis dieser Saal als Ausweichstätte zur Verfügung steht. Ohnehin erscheint das Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 als wenig geeignet für eine einschneidende Reduktion der Saalkapazität in der internationalen Musikstadt München. Eine mehrjährige Schließperiode des Gasteig, wie sie bei der PK am 2.2. angekündigt wurde, würde jedenfalls einen wichtigen zusätzlichen Grund für einen neuen Konzertsaal schaffen.
Die bisherige Diskussion über den neuen Konzertsaal in München scheint generell unter verengten Perspektiven aller Beteiligten zu leiden. Das Konzertsaalprojekt ist ein kulturelles Projekt für München, bei dem es keineswegs nur um die Interessen „unserer Orchester von Weltrang“ geht. Daher sollten auch die übrigen Konzertveranstalter und die Interessen ihrer Besucher in die Diskussion einbezogen werden. Über die Anforderungen an den neuen Saal, zukünftige Saalkapazitäten, auch über eventuelle Provisorien während einer längeren Sanierungsphase im Gasteig muss unter allen Betroffenen gemeinsam beraten werden.
Ein neuer Konzertsaal dient nicht nur dazu, gegenwärtige Bedürfnisse der Musiker, Veranstalter und Konzertbesucher zu befriedigen. Da er mehreren zukünftigen Generationen zur Verfügung stehen soll, müssen auch zukünftige Präsentations-, Vermittlungs- und Kommunikationsformen sowie zukünftige Technologien und Medien in den Blick genommen werden. Ein solcher Saal soll auch für Musik tauglich sein, die erst zukünftig komponiert wird. Eine Vision für einen solchen Saal zu entwickeln, der Aufführungen in allen Teilen des Raumes, Live-Elektronik, Visualisierung, multimediale Inszenierungen, vielleicht sogar Tanz, natürlich auch eine Teilnahme in allen verfügbaren Medien ermöglichen und vielen weiteren Ansprüchen genügen soll, erfordert eine intensive konzeptionelle Arbeit, mit der dringend begonnen werden sollte. Sie sollte keinesfalls dem späteren Architekten überlassen bleiben, wie dies in Deutschland manchmal leider geschieht.
Neben gelungenen Auditorien sollten auch die sonstigen baulichen und organisatorischen Bedingungen in wegweisenden internationalen Konzerthäusern (z.B. The Sage in Gateshead) in den Blick genommen werden. Es geht keineswegs nur um bestmögliche Akustik, sondern auch um die Verbindung von Musik mit anderen Kunstformen, neue Konzert- und Vermittlungsformen, Partizipation des Publikums und vieles mehr.
Standortfragen werden in Metropolen immer kontrovers diskutiert. Da andererseits ständig neue Bauten entstehen, sind sie offenbar nicht unlösbar. Der Finanzgarten wurde von einer interministeriellen Arbeitsgruppe als geeignetster Standort für einen neuen Konzertsaal benannt. Es erscheint daher sinnvoll, diese Option zunächst mit Nachdruck zu verfolgen. Angesichts der Dringlichkeit sollten weitere Standorte in Betracht gezogen werden. Andernorts werden neue Konzerthäuser auch als Stadtentwicklungsprojekte realisiert.
Über dem neuen Konzertsaal sollte auf Seiten der Orchesterträger nicht vergessen werden, dass jedes Orchester für seine innere Entwicklung ein eigenes Proben- und Arbeitszentrum mit Büros, Besprechungs- und Probenräumen, vor allem für Kammermusik und Ensemblespiel, sowie variabel nutzbare Räumen für die eigene Vermittlungsarbeit („Education“) benötigt.
Die Protagonisten des Konzerthausprojekts sollten möglichst bald eine Fundraising-Kampagne starten, um glaubhaft zu machen, dass hinter dem Projekt ein echtes, auch materielles Engagement steht und dass ein substantieller Teil der Kosten von privater Seite getragen werden wird. Jeder der Beteiligten sollte klären, welche Beiträge von ihm selbst erbracht werden können.
Die Problematik, die hier diskutiert wird, besteht auch in vielen anderen Kulturmetropolen. Um die Erfahrungen, die andernorts gemacht wurden, einzubeziehen und generell den Blick zu weiten, erschiene es sinnvoll, einen internationalen Beirat zu berufen, der das Projekt des neuen Konzertsaals begleitet.
Weitere Informationen: www.abendzeitung-muenchen.de
Karsten Witt, 02/2015