Der Trompeter Jeroen Berwaerts tanzt auf vielen Hochzeiten – als Solist spielt er die virtuosesten zeitgenössischen Trompetenkonzerte, er arbeitet an einem vom Yoga inspirierten Buch über die Kunst des Atmens, und mit seinen kleineren Ensembles entwickelt er überaus originelle Rezitalprogramme. Wir trafen Jeroen Berwaerts im Sommer 2014 bei den Bregenzer Festspielen.
KWMM: Jeroen, Du kommst gerade aus der Generalprobe mit den Wiener Symphonikern unter Claus Peter Flor. Kannst Du etwas zu dem Werk sagen, das heute Abend aufgeführt wird?
JB: HK Gruber, genannt Nali, hat Busking als zweites Trompetenkonzert für Håkan Hardenberger geschrieben, mit Banjo, Akkordeon und Streichern. Busking heißt Straßenmusik, und Akkordeon und Banjo verkörpern quasi die Continuogruppe der armen Leute.
Du bist der zweite Trompeter, der sich an dieses Werk herantraut. Was macht es so schwierig?
Es ist im Moment physisch das schwerste Stück, das für Trompete geschrieben worden ist, zusammen mit dem anderen Werk von Nali. Ich habe sieben Monate gebraucht, um es spielen zu können, und ich denke, es gibt nicht viele, die dieses Opfer bringen wollen. Es ist, wie sich auf einen Iron Man oder Marathon vorzubereiten, den man am Ende laufen muss. Da muss man sehr diszipliniert vorgehen, jeden Tag dieses Stück mitnehmen, quasi damit schlafen gehen.
HK Gruber nutzt in dem Stück Anspielungen auf verschiedene musikalische Genres. Passt das besonders zu Dir, weil Du selbst auch in verschiedenen musikalischen Welten zu Hause bist?
Ich fühle mich unglaublich verbunden mit diesem Komponisten, der ja auch Dirigent und Chansonnier ist. Gestern Abend habe ich einen Poesie- und Chansonabend mit ihm erlebt – es ist sehr bewegend, wie er das Publikum fesseln kann. Ich singe ja auch Chansons. Als ich zum Beispiel dieses Stück zum ersten Mal aufgeführt habe, da habe ich in der zweiten Hälfte Chansons von Jacques Brel gesungen.
… die Aufführung auf dem Hamburger Musikfest mit dem Ensemble Resonanz war ein Riesenerfolg.
Ich war immer schon auf der Suche nach einer Art von Musik, die nicht nur ein Publikum anspricht. Diese Musik ist viel breiter, es sind groovige Rhythmen erkennbar. HK Gruber wird oft in eine Schublade mit Kurt Weill gesteckt, und er ist schon von der Freiheit im Denken her verwandt. Trotzdem ist es eine ganz eigene Sprache, anders auch als die gängige zeitgenössische Musik.
Wie war Dein Weg zur Musik, und wann in Deiner musikalischen Biografie bist Du den verschiedenen Stilen begegnet, die heute Deine künstlerische Arbeit prägen?
Der Anfang lief über meinen Vater, der auch ein Blechblasinstrument spielte und mir eine Trompete mitbrachte. Dann bin ich auf Kornett umgestiegen, ich war noch sehr jung, und die Trompete war ein bisschen zu schwer für mich. Ich habe sehr viel Unterhaltungsmusik gespielt, in Brass Bands. Diese Ensembles kommen ursprünglich aus England, sie wurden von Minenarbeitern gegründet. Es gibt Brass Band Wettbewerbe, und Wettbewerbsstücke, die man als Neue Musik bezeichnen kann. Aber es werden natürlich auch ganz bekannte Traditionals gespielt. Ich habe früher auch in Bands Funk und Popmusik gemacht; richtig klassische Musik habe ich erst ab 18 gehört. Parallel zu meinem Trompetenstudium habe ich dann Jazzgesang studiert, noch in Belgien. Dann habe ich mich entschieden, den Jazz erst einmal wegzulassen und so weit wie möglich auf der Trompete zu kommen und bin nach Karlsruhe gegangen. Reinhold Friedrich war dort mein Lehrer. Ich hatte das große Glück, diesen Menschen kennenzulernen, weil er so ein reiches Spektrum hat. Er spielt Barocktrompete, Neue Musik, Orchester – er macht alles, und das hat er jedem Studenten weitergegeben. Jeder nimmt das, was für ihn am besten ist. Das waren unglaublich wichtige Momente in meinem Leben.
Wie kam der Jazz dann wieder zurück in Dein künstlerisches Leben?
Später in Wien habe ich Leute getroffen, mit denen ich eine Chet Baker Revival Band gegründet habe, und dann hat sich das wieder langsam gesteigert. Mittlerweile gibt es wenige Recitals, in denen ich nicht singe. Dadurch kann ich ein reiches Repertoire gestalten und bekomme Programme zusammen, die unglaublich abwechslungsreich sind und ein anderes Publikum ansprechen. Wenn ich ein Recital mache, in dem Chet Baker und Jacques Brel auf dem Programm stehen, kommen andere Leute zum Konzert. Und die hören dann auch Ligeti und Hindemith und Enescu, auch Telemann und Händel – Musik, die sie vielleicht noch nicht so intensiv gehört haben.
Beeindruckend ist dabei, dass Du die verschiedenen Musikstile wirklich lebst und nicht, wie das bei manchen klassischen Musikern der Fall ist, Jazzmusik benutzt um zu zeigen, dass man „auch mal locker“ sein kann, was von jazzaffinen Zuhörern zurecht als anmaßend empfunden wird.
Ich mache es auch nie als Unterhaltung, nicht, um mir damit den Applaus zu erkaufen sozusagen. Jacques Brel Chansons können auch recht schwermütig sein, und nicht alle Chet Baker Lieder sind sehr bekannt. Ich finde einfach, Musik ist Musik, und ich hasse es, wenn Musik in Schubladen gesteckt wird.
Neben dem Übepensum an der Trompete beschäftigst Du Dich für diese Programme also zusätzlich mit Stimme und Text?
In meiner Einspielzeit wird jeder Ton, den ich spiele, vorher gesungen. Das heißt, meine Stimme wird eigentlich sowieso ständig trainiert. Vor Konzerten hole ich dann die Stücke heraus, die ich singen werde. Momentan spreche ich auch viel meine Gesangstexte, und ich spreche die Phrasen, die ich spiele. Die Trompete ist ja eigentlich nur eine Erweiterung der Stimme. Ich singe zwar nicht tatsächlich in die Trompete, aber meine Vorstellung, die ich in das Instrument gebe, ist mit meiner Stimme verknüpft. Deshalb ist das Singen dem Trompetespielen so nah.
Du arbeitest an einem Yogabuch für Bläser. Was hat es damit auf sich?
The Art of Breathing nenne ich das. Ich nehme sehr viel Yogaunterricht. Es hilft mir, zu fokussieren, und ich bin schon lange nicht mehr richtig nervös gewesen im Konzertsaal. Für das Buch stellen wir Übungen zusammen, mit denen ein Bewusstsein für die Atmung geschaffen wird. Die Trompete ist ein Blasinstrument, die Luft steht an erster Stelle. Wenn die Luft frei fließt, dann fließt die Trompete frei. Und dadurch hat man ungemein viel Kraft und kann letztendlich solche Stücke wie Busking spielen. Am Anfang, als ich studiert habe und an Wettbewerben teilnahm, habe ich zwar meine Preise geholt, war aber nie der kraftvollste Trompeter, der die hohen Stellen am lautesten herausspielen konnte. Das war immer mein Manko. Aber ich bin der Beweis dafür, dass sehr viele Leute solche Stücke bewältigen können, man muss nur bereit sein, das Opfer zu bringen, das man braucht, um das zu üben.
Die Disziplin ist also Deine wichtigste Tugend?
Üben ist mehr als Musik, das ist manchmal auch Körpertraining, das ist Atemtraining, das ist Meditation. Es umfasst viel mehr als einfach nur Töne, dieses Arbeiten an mir, an den Stücken, am Ton an sich. Aber ich versuche gerade ein bisschen, davon wegzukommen, dass man die Disziplin als einziges Mittel sieht. Wenn man für etwas so lange braucht und irrsinnig viel übt – das sind wirklich tausende Stunden, die da reingehen – dann hat man oft das Gefühl, "ich brauche das, ich muss das machen". Aber letztendlich kommt durch die Entspannung noch mehr Kraft. Ein bisschen wie Intervalltraining bei einem Sportler. Ich habe bis letzte Saison auch noch im Orchester gespielt, und die ganze Professur gemacht und diese vielen Solokonzerte gespielt. Deshalb jetzt auch der bewusste Ausstieg aus dem Orchester, um mich auf meine solistische Tätigkeit zu konzentrieren. Das ist eine sehr wichtige Entscheidung gewesen.
Nachdem Du als erster Solotrompeter beim NDR Sinfonieorchester aufgehört hast, folgte ein Soloengagement dort mit Toshio Hosokawas neuem Trompetenkonzert, das Du auch schon mit dem Tokyo Philharmonic Orchestra zur Uraufführung gebracht hattest und mit dem Du nun beim NHK Symphony Orchestra zu Gast warst.
Für mich ist das, mit den Stücken von HK Gruber zusammen, eines der besten zeitgenössischen Trompetenkonzerte. Es ist ein unglaublich schönes, intimes Werk. Es basiert auf einem Gedicht von Herrmann Hesse, Im Nebel. Ich als Trompeter bin der Mensch, der durch den Wald, das Orchester, läuft, manchmal sieht man mich, hört man mich, manchmal nicht. Ein paar Wochen vor der Uraufführung war ich in Takefu, auf Toshios Festival. Ich hatte einen Monat zuvor ein Stück von Peter Eötvös aufgeführt, Jetstream. Darin gab es eine Kadenz, für die ich Sachen ausprobiert habe, das Mundstück von der Trompete weggenommen habe, reingesungen habe. Ich mochte diesen Effekt, weil es eben die Brücke zwischen Singen und Spielen ist, der Unterschied ist dann gar nicht mehr so groß. Das habe ich Toshio vorgespielt, und der hat es an einigen Stellen eingebaut. Ein paar Mal im Duo mit der Flöte oder Bassflöte, das gibt unglaublich tolle und bewegende Momente. Dieses Werk ist eine Perle, und ich hoffe, dass es tausende Trompeter spielen und singen werden.
Auch mit dem klassischen Repertoire hast Du Dich natürlich als Trompeter beschäftigt. Wie wichtig ist das für Dich?
Ich versuche, die Sprache von Komponisten jeweils zu verstehen und als Medium dem Publikum zu überbringen. Ich habe mich zum Beispiel auch mit Barocktrompete beschäftigt und würde es gerne wieder tun. Aber momentan bin ich mit so vielen Hammerstücken unterwegs – Hosokawa, Gruber, Schostakowitsch, Zimmermann – das muss man sich physisch und mental gut einteilen. Das ist jetzt mein Weg geworden, die zeitgenössische Musik ist meine Sprache. Wir Trompeter haben Håkan Hardenberger so viel zu verdanken, was neue Werke angeht. Auch Reinhold Friedrich hat ein paar große Werke für sich schreiben lassen. Natürlich will ich auch Uraufführungen spielen, aber ich sehe es als meine Aufgabe, die Werke von Gruber, Ligeti, Birtwistle, Rihm, die es schon gibt, so viel wie möglich aufs Konzertpodium zu bringen. Ich hoffe, dass die Direktoren und die Intendanten die Schönheit dieser Werke sehen und dass sie Standardrepertoire werden. Wenn es schon Leute gibt wie Håkan Hardenberger, die so viel getan haben für das Instrument, wäre es wirklich eine Sünde, wenn das einfach so stillliegt.
Nina Rohlfs, 08/2014