Das vom Nationaltheater Mannheim veranstaltete Porträtkonzert in der Kulturkirche Epiphanias im Mannheimer Stadtteil Feudenheim steht in Zusammenhang mit einer großen Uraufführung, die für 2026/27 geplant ist: Aktuell komponiert Ming Tsao ein großformatiges Musiktheaterwerk, das die bedeutendste Kunqu Oper aus der chinesischen Ming Dynastie, Mudan Ting (Der Pfingstrosen-Pavillon), neu erfindet.
Mit dem Ensemble Ascolta, dem Mivos Quartet und dem Duo Clavichord interpretieren am 1. März hochkarätige Musiker:innen wichtige Werke von Ming Tsao, die zwischen 2002 und 2023 entstanden sind, inklusive einer Uraufführung: Erstmals kommt die Dritte Stimme zu Bachs zweistimmigen Rätselkanons zu Gehör.
Anlässlich des Porträtkonzertes gab Ming Tsao für unser Magazin Auskunft über seine besondere Perspektive auf europäische Musiktraditionen, in denen er sich gleichzeitig heimisch und fremd fühlt:
"Ich bin ein Komponist, der zwischen den Traditionen steht. Mein Vater, der aus Peking eingewandert ist, hat mich mit dem Reichtum der chinesischen Kultur vertraut gemacht, und in unserem Haus wurde oft Chinesisch gesprochen. Die Familie meiner Mutter, die aus Wien eingewandert ist, hat mich mit dem Reichtum der europäischen Tradition vertraut gemacht, insbesondere mit den musikalischen Künsten, da mein Großvater und meine Mutter beide Musiker waren und meine musikalische Ausbildung in die Wege leiteten. Da ich in den USA aufgewachsen bin, konnten sich beide Traditionen frei vermischen und verflechten – keine hatte die Oberhand – so dass ich gleichzeitig in beiden heimisch und fremd war. Der Filmemacher Jean-Marie Straub beschrieb diese Position einmal als eine "des Zorns und der Zärtlichkeit“, die Fähigkeit, innerhalb einer dominanten Tradition zu stehen – wie der europäischen – und ihre immense Schönheit zu entdecken, aber ebenso außerhalb dieser Tradition zu stehen und die Gewalt wahrzunehmen, die sie anderen Kulturen antut, um sich selbst zu erhalten. Meine musikalischen Kompositionen haben ihren Ursprung in der Pflege dieser europäischen Tradition, etwa in der Auseinandersetzung mit Bachs Kontrapunkt (Dritte Stimme zu Bachs zweistimmigen Inventionen) oder Stockhausens seriellen Strukturen (Plus Minus), wobei ich gleichzeitig etwas Fremdes in ihre Substanz einbaue. So wird Tradition nicht nur bewahrt, sondern grundlegend verändert und von innen heraus fremd gemacht, so dass eine Vielfalt von Stimmen aus anderen Kulturen daran teilhaben und sich gleichermaßen zu Hause fühlen kann."
Ming Tsao, Februar 2025
weitere Werktexte von Ming Tsao sowie Partitur- und Audioausschnitte zu den Stücken des Porträtkonzertes:
Not Reconciled (Ensemble Ascolta)
Pathology of Syntax (Mivos Quartet)
Dritte Stimme zu Bachs zweistimmigen Inventionen (Due Corde)
Dritte Stimme zu Bachs zweistimmigen Rätselkanons (Uraufführung mit Due Corde)
Plus Minus (Ensemble Ascolta)