Mehr oder weniger durch Zufall ist er Anfang der 80er Jahre nach Europa gekommen, und inzwischen bezeichnet er Deutschland, wo er über 30 Jahre lebte, als seine Heimat: Mike Svoboda, heute in Basel ansässig, arbeitete als junger Musiker unter anderem intensiv mit Karlheinz Stockhausen zusammen und hat als Solist in den letzten Jahrzehnten eine beachtliche Reihe – auch eigener – Kompositionen aus der Taufe gehoben. Anlässlich der Uraufführung von Georg Friedrich Haas’ Posaunenkonzert bei den SWR Donaueschinger Musiktagen 2016 sprachen wir mit ihm über aktuelle Projekte und die Besonderheiten seines Instrumentes.
Herr Svoboda, herzlichen Glückwunsch erst einmal zum Erfolg der Uraufführung in Donaueschingen! Anders als in manch anderen der zahlreichen von Ihnen uraufgeführten Stücken sind in dem Posaunenkonzert eher traditionelle Techniken gefragt, und es ist nicht auf den ersten Blick ein virtuoses Bravourstück.
Das Stück ist sehr gut geschrieben für das Orchester, es klingt fantastisch. Das neue SWR Symphonieorchester ist natürlich auch großartig, aber selbst ein weniger edles Orchester würde gut klingen, weil Georg Friedrich Haas einfach weiß, wie man für Orchester schreibt. Es stimmt, dass mein Part kein Feuerwerk an Spieltechnik und Virtuosität ist. Das Stück ist sehr schwer, aber das ist nicht offensichtlich. Die Virtuosität liegt hier im Rahmen der Tongebung, der Intonation, und die Phrasen sind extrem lang. Das ist anstrengend, besonders wenn ich ganz am Schluss noch eine sehr feine, hohe Melodie zu spielen habe. Wenn ich ein Resümé ziehen müsste, dann würde ich sagen, es ist ein großartiges Stück als Komposition, ein tolles Hörerlebnis fürs Publikum, und anstatt eine solistische Rolle mit Begleitung zu haben, bin ich ein wesentlicher Teil des Ganzen. Was vielleicht sogar besser ist.
Wie war die Arbeit an dem Stück?
In den Noten steht wenig zur Artikulation. Und bei einer Uraufführung versuche ich als Interpret erst einmal, genau das umzusetzen, was der Komponist notiert hat, ohne mir etwas Eigenes auszudenken. Sein Feedback in der Hauptprobe war deshalb sehr wichtig für mich. Tatsächlich hat er sich viele Dinge freier, auch emotionaler vorgestellt, als aus der Partitur ersichtlich war. Ich habe versucht, das in der Generalprobe umzusetzen – was mir scheinbar gelungen ist – und ich fühlte mich ab diesem Punkt sehr wohl.
Haben Sie dafür Beispiele?
Sein Kommentar zum Schlussteil beispielsweise: Er solle operettenhaft sein, als ob ein Tenor sein Vibrato bei einer Art belcanto Melodie auf einen ganz engen Raum minimiert. Das war ein hilfreicher Hinweis. Es hätte auch sein können, dass er sich eine kahle, nüchterne Landschaft vorstellt, aber er wollte wirklich etwas Emotionsgeladenes haben. Ein anderes Beispiel ist der Mittelteil: Der ist sehr genau notiert, in Quartolen, Quintolen, Triolen. Und dann sagt er in der Probe: Nein, mach das parlando, freier. Vorher war die Atmung ein Problem, aber wenn ich es parlando spiele, dann kann ich, wie beim Sprechen, schnell nachatmen.
Sie sind ja nicht nur Interpret neuer Musik, sondern auch als Komponist sozusagen ein Kollege von Georg Friedrich Haas. Wie sehen Sie aus dieser Perspektive das Werk?
Eine besondere Qualität seiner Musik ist die Art und Weise, wie er von einer musikalischen Situation, einem Gebilde zum anderen gelangt – wie er sozusagen morpht, über eine bestimmte Zeitspanne, mit einer bestimmten Dramaturgie. Das macht er unglaublich gekonnt, und das ist ja gerade das Schwierige am Komponieren: Mal einen interessanten Klang machen oder eine interessante Harmonie erfinden, das kann eigentlich jeder. Aber das eine ins andere zu wandeln, mit einem bestimmten Ausdruck, das bedarf großer Erfahrungswerte.
Wie beeinflussen sich diese unterschiedlichen Rollen als Komponist und Posaunist in Ihrer täglichen Arbeit?
Was ich als Posaunist beisteuern kann, ist das Verständnis für die Komposition. Ich sehe mich als Interpret, auch mit der nötigen Virtuosität, die ich zur Schau stellen kann. Aber dadurch, dass ich selbst Komposition studiert habe, kann ich mich in die Welt der Komponisten hineindenken und vor einer Uraufführung überlegen, was sie mit ihrem Werk erreichen wollen. Dann finde ich meine Mittel, das zu verwirklichen. Vor langer Zeit habe ich einen Vortrag gehalten über einen Gedanken, der auf Stockhausen zurückgeht, der Titel war „Interpretation als Verdeutlichung einer Komposition“. Genau das will Stockhausen: Dass die Musiker der Musik dienen und nicht die Musik nutzen, um sich zu profilieren. Natürlich geht beides meistens Hand in Hand. Jeder Interpret positioniert sich auf diesem Kontinuum. Auf der einen Seite steht der Interpret, sagen wir Alfred Brendel, und auf der anderen Seite der Virtuose, zum Beispiel Lang Lang. Man bewegt sich auf dieser Skala auch hin und her, je nachdem, was die Musik erfordert. Für mich ist es eine tolle Aufgabe, Uraufführungen zu spielen: Sachen verwirklichen, schauen, wie der Komponist das will. Manchmal auch Dinge reparieren, die nicht funktionieren, anhand meiner Vorstellung des Willens des Komponisten. Wenn ich nicht Posaune spielen würde, würde ich das als Dirigent machen.
War das eine Option in Ihrer Karriere?
Ich hatte ein Angebot, bei Celibidache eine Assistenz zu machen. Das war 1982, da war ich 22. Das Tolle an der Posaune allerdings ist für mich, dass man sie in die Hand nimmt, spielt, Klänge macht. Dieses Unmittelbare fehlt beim Dirigieren, zumal man viel mit organisatorischen Fragen beschäftigt ist. Auch das Komponieren ist mühsam, da sind sozusagen Wege dazwischen bei der Realisierung meiner Vorstellung. Ich mag die Armut meines Instrumentes – man kann nicht vier Töne auf einmal spielen, Harmonie steht mir kaum zur Verfügung, die Posaune ist ein rein melodisches Instrument. Ich kann nur mit Artikulation, Vibrato, Klang, Dynamik arbeiten, also muss ich kreativ werden, um aus diesen wenigen Mitteln etwas zu schaffen. Die verschiedenen Tätigkeiten passen dabei für mich perfekt zusammen. Ehrlich gesagt, wenn man 180 Minuten am Tag Posaune spielt, sechs Mal eine halbe Stunde, dann ist das schon sehr viel. Also habe ich noch zehn Stunden am Tag Zeit für andere Dinge. Ich komponiere, ich unterrichte Kammermusik in Basel. Und ich habe sechs Kinder. Es geht wirklich Hand in Hand.
In diesem Herbst sind Sie auch in beiden Rollen zu erleben, zum Beispiel als Artist in Residence beim Blechbläserfestival im schwedischen Gävle.
Dort spiele ich Love Hurts, ein unterhaltsames Stück, das ich vor ungefähr 15 Jahren geschrieben habe und das immer wieder gespielt wird. Im gleichen Konzert mit dem Stockholm Chamber Brass und dem Gävle Symfoniorkester wird mein Tripelkonzert für drei Blechbläser und Orchester aufgeführt, und ich spiele noch ein paar Soli in insgesamt vier Konzerten.
Bei Wien Modern stehen Sie dann erneut mit dem Haas Konzert auf der Bühne.
Ja, und dort treffe ich auch Kurt Schwertsik, dessen Posaunenkonzert ich in Stuttgart im Neujahrskonzert als deutsche Erstaufführung spielen werde. Kaum jemand kennt dieses Stück, aber es ist super! Auch im Sinne von supervirtuos. Schwertsik ist Hornist bei den Wiener Symphonikern gewesen, und er kennt das Orchester sehr gut. Es ist tolle Musik, die technisch wunderbar geschrieben ist und viel Ironie und Humor beinhaltet.
In Berlin haben Sie außerdem gerade Filmaufnahmen für Ihr neues Kinderprojekt gemacht.
Für dieses Projekt werde ich erstmals die Lucerne Festival Academy Alumni dirigieren, sehr gute Musiker also. Ich finde es wichtig, dass man ein breites Publikum anspricht, auch ein junges Publikum. Bei einem Familienkonzert sind allerdings die Hälfte des Publikums Erwachsene. Walt Disney hat sein Erfolgsrezept einmal so formuliert: „I make adults’ films for children and children’s films for adults“. Es muss also für alle Beteiligten etwas dabei sein. Wir erzählen deshalb eine vielschichtige Geschichte mit einer sehr freundlichen Oberfläche, aber tiefgründigen Themen. Es geht um Schellackplatten und Postkarten von Musikgruppen aus der ganzen Welt vor hundert Jahren. Durch meine drei anderen Kinderwerke und durch die hunderte Male, die ich mit Solostücken vor Kindern aufgetreten bin, weiß ich recht gut, wie Kinder auf Klänge reagieren.
Können wir über die Konzerte der kommenden Monate hinaus noch einen Blick in die Zukunft wagen?
Ich habe tatsächlich eine Liste von Vorhaben und möchte gerne noch einige Uraufführungen spielen in den nächsten zehn Jahren. Es gibt auch Stücke, die ich gerne noch einmal spielen würde, bevor ich aufhöre – was nicht so bald sein wird. Ich habe noch nie so gut gespielt wie jetzt (lacht)! Die Jungen sind schneller, aber die Alten kennen die Umwege, und ich glaube, ich habe für mich einige Sachen ganz gut verstanden. Das Wichtigste ist eben Disziplin.
Nina Rohlfs, 11/2016